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Kreativ gegen de Maizière
Proteste begleiteten eine Lesung des früheren Bundesministers in Göttingen
Zeitgleich mit dieser Protestaktion und nur wenige Meter entfernt - dazu unter starkem Polizeischutz - las der frühere Bundesinnen- und Bundesverteidigungsminister vor etwa 300 Interessierten aus seinem Buch »Regieren« vor.
Ursprünglich hatte de Maizière das Werk bereits am 21. Oktober während des »Göttinger Literaturherbstes« vorstellen wollen. Doch damals verhinderten rund 100 linke Aktivisten die Lesung, indem sie die Aufgänge zum Veranstaltungsort blockierten. Sie wollten damit auf den Angriffskrieg der türkischen Armee gegen die Kurdenregion Rojava in Nordsyrien hinweisen.
Die Blockade war bundesweit heftig kritisiert worden und hatte die Debatte um eine angebliche Beschränkung der Meinungsfreiheit befeuert. CSU-Generalsekretär Markus Blume hatte gar Vergleiche zur Bücherverbrennung in der NS-Zeit gezogen. Andere Unionspolitiker stellten die Blockade in eine Reihe mit dem tödlichen Attentat auf den CDU-Landrat Walter Lübcke und den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle.
Auch de Maizière ging vor seiner Lesung am Dienstag noch einmal kurz auf die damaligen Ereignisse ein. Er komme »jetzt erst recht« nach Göttingen, sagte er. Zugleich äußerte er sich »bestürzt und besorgt« über einen mutmaßlichen Brandanschlag auf das Göttinger Amtshaus in der Nacht zu Montag - in dem Gebäude sind die Ausländerbehörde und das Jobcenter der Stadt untergebracht. In einem »Bekennerschreiben« war auf den bevorstehenden Besuch de Maizières Bezug genommen worden. Bei dem Anschlag entstand hoher Sachschaden.
Leute, die Behörden anzündeten, seien »genauso schlimm wie diejenigen, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden«, sagte de Maizière. »Dieser Gewalt darf man nicht weichen.« Zwar sehe er die größte Gefahr derzeit im Rechtsextremismus, aber auch der Linksextremismus bleibe gefährlich, so de Maizière im Alten Rathaus von Göttingen.
Bei der von mehreren linken Gruppen organisierten Gegenveranstaltung am Rande des Göttinger Marktplatzes erklärte derweil ein Redner, warum Thomas de Maizière am 21. Oktober für zwei Stunden das Wort verwehrt worden sei. Zwar sei eine Blockade keineswegs ein besonders geeignetes Mittel, »um unseren Anliegen Gehör zu verschaffen«. Wenn man aber nicht im Fernsehen sitze und über Millionenauflagen von Springer-Zeitungen und Illustrierten verfüge, »dann finden wir, dass es außerordentlich demokratisch ist, die einzige Öffentlichkeit, die dann für uns bleibt, nämlich die der Straße zu benutzen«. De Maizière habe sich zu den Blockaden in den folgenden Tagen in den Medien und im Bundestag ausführlich auslassen können. »Einer der immer Gehör findet, fand es einmal nicht«, das sei der »Skandal« gewesen, sagte der Aktivist.
Ein Vertreter des Göttinger Bündnisses gegen Abschiebungen wandte sich direkt an de Maizière: Er habe als Minister unter anderem den Flüchtlingsdeal mit der Türkei eingefädelt, »durch den Millionen von Menschen in der Türkei, aber auch auf den griechischen Inseln festgesetzt werden und der das Sterben im Mittelmeer weiter vorantreibt«.
»Wir erheben auch Widerspruch gegen Ihre Bereitwilligkeit, auf Erdogans Verlangen hin gegen Kurdinnen und und Kurden vorzugehen und sie hierzulande mit Hausdurchsuchungen und Kriminalisierungsversuchen zu überziehen«, fügte der Redner hinzu. »Und wir erheben Widerspruch gegen Ihre tödliche Lüge, in Afghanistan gäbe es sichere Gebiete, und also könne dorthin abgeschoben werden.« Zudem habe de Maizière die Debatte um eine »deutsche Leitkultur« mit angestoßen. Dadurch sei der AfD der Weg »noch in das letzte Landesparlament« geebnet worden.
Aktivisten des Göttinger »Bündnisses gegen Abschiebungen« trugen sodann einen Pappsarg mit der Aufschrift »Menschlichkeit« symbolisch zu Grabe. Ein Chor sang Arbeiter-, Partisanen- und internationale Befreiungslieder. Zudem wurden Texte kurdischer Autoren vorgetragen, etwa aus der Autobiografie der PKK-Kämpferin Sakine Cansiz, die 2013 in Paris erschossen wurde - vermutlich vom türkischen Geheimdienst. Die vorgelesenen Texte waren in einem Verlag erschienen, der Anfang dieses Jahres mit Verweis auf Nähe zur PKK verboten worden war.
Nach knapp zweistündigem Kultur- und Redeprogramm, die meisten Zuhörer waren schon gegangen und der Bühnentechniklaster wurde beladen, griff die Polizei zu. Die Beamten nahmen zwei Personen in Gewahrsam, nahmen deren Personalien auf und setzten sie für eine knappe Stunde in einem Polizeifahrzeug fest.
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