Anschlag in Göttingen vor de-Maiziere-Besuch

Polizeichef der niedersächsischen Stadt spricht von »Linksterrorismus«

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Verweis auf den bevorstehenden Besuch des früheren Bundesministers Thomas de Maiziere (CDU) in Göttingen und vermehrte Abschiebungen von Flüchtlingen haben Unbekannte in der Nacht zu Montag einen Brandanschlag auf das Amtshaus der Stadt verübt. In dem Gebäude ist auch die Ausländerbehörde untergebracht. Menschen kamen bei dem Anschlag nicht zu Schaden.

In einem »nd« vorliegenden Bekennerschreiben heißt es: »Die Politik von Politikern wie Thomas de Maziere ist eine mörderische Politik«, de Maiziere stehe für ein »menschenverachtendes System«. Jeden Tag kämen Menschen zu Tode: »Im Mittelmeer durch unterlassene und behinderte Seenotrettung an den Grenzen der Festung Europa« oder durch deutsche Waffenlieferungen an die »faschistische Türkei«. De Maiziere, der unter anderem Bundesinnenminister war, trage zudem die Verantwortung für Verbote von kurdischen Vereinen und Symbolen und linken Medienplattformen.

In dem Schreiben wird auch scharfe Kritik an der Göttinger Ausländerbehörde geübt. Sie leite Abschiebungen ein und lasse »Polizeikommandos nachts unangekündigt in Wohnungen stürmen, reißt Menschen aus dem Schlaf, aus ihrem Leben, aus ihrer Sicherheit, und verschleppt sie in Armut, Unterdrückung oder den Tod«. Die Behörde und ihre Mitarbeiter seien »Teil dieses Systems« und trügen auch persönlich Verantwortung für ihr Handeln. »Hört auf, Menschen rassistisch und respektlos zu behandeln«, hieß es: »Sonst hat das Konsequenzen! Kündigt lieber eure Jobs!«

Die Polizei, die zunächst nur einen Brand im Amtshaus bestätigt hatte, sprach am Nachmittag von einer mutmaßlich linksextremistischen Tat und hat eine Sonderkommission eingerichtet. »Wenn Gewalt- oder Straftaten als Mittel eingesetzt werden, um Politikerinnen und Politiker oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung einzuschüchtern oder zu manipulieren, handelt es sich nicht mehr um eine legitime Form der politischen Meinungsäußerung«, sagte der Göttinger Polizeipräsident Uwe Lührig. »Dabei erreicht der Brandanschlag auf das Göttinger Amtshaus eine Qualität, die nach meiner Auffassung ganz klar als Linksterrorismus zu bezeichnen ist.«

Den Ermittlern zufolge haben die Täter den Anschlag gegen drei Uhr morgens verübt. Die Feuerwehr sei bis kurz vor sechs Uhr mit dem Löschen beschäftigt gewesen, der Brand habe »erhebliche Schäden« verursacht. Wie das Feuer ausgelöst wurde, stand zunächst nicht fest. Experten des niedersächsischen Landeskriminalamtes wollten den Brandort noch am Montag untersuchen.

De Maiziere will am heutigen Dienstag in Göttingen sein Buch »Regieren« vorstellen. Die zunächst am 21. Oktober angesetzte Lesung war von rund 100 linken Demonstranten verhindert worden. Sie hatten die Aufgänge zum Veranstaltungsort blockiert und begründeten dies mit dem türkischen Angriffskrieg gegen die Kurden in Syrien. Die offenbar von der Aktion überraschte Polizei sah damals von einer Räumung ab.

Die Blockade wurde bundesweit kritisiert und befeuerte die Diskussion um eine angebliche Beschränkung der Meinungsfreiheit. Einige Politiker stellten die Aktion gar rhetorisch in eine Reihe mit dem Mord am CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle. Auch eine ganz große Koalition im Göttinger Stadtrat von der CDU bis zu den Grünen verurteilte die Blockade.

Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung mit de Maiziere hat unter anderem das Göttinger Solidaritätsbündnis für Rojava zu einer öffentlichen Lesung auf den Marktplatz aus Schriften eines kurdischen Verlages eingeladen, der vom Bundesinnenministerium wegen vermeintlicher PKK-Nähe verboten wurde.

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