Exotisiert, sexualisiert, kriminalisiert

Im Afrozensus wurden erstmalig die Rassismuserfahrungen Schwarzer Menschen in Deutschland erhoben

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Rassismus bei der Polizei, bei Behörden, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt sind für die meisten Schwarzen Menschen in Deutschland Alltag. Was bisher »nur« Lebenserfahrung war, wurde nun erstmals durch eine Studie bestätigt: »Anti-Schwarzer Rassismus wirkt spezifisch und ist ein sektorübergreifendes Problem in Deutschland.« Das ist ein Ergebnis des Afrozensus, bei dem im vergangenen Jahr rund 6000 Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen befragt wurden. Also Menschen, die selbst aus Afrika eingewandert sind oder die einen familiären Hintergrund in egal welcher Generation in Afrika oder der Diaspora (z.B. Karibik, Türkei, Brasilien) haben.

Gefördert wurde die Studie von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, durchgeführt von den Initiativen »Each One Teach One (EOTO)« und »Citizens for Europe (CFE)«. Obwohl man potenzielle Studienteilnehmer*innen wegen der Pandemie schwerer erreichen konnte, habe man innerhalb der Rahmenbedingungen eine umfangreiche Stichprobe erhalten, sind die Autor*innen überzeugt. Die Befragten sind in 144 Ländern geboren, mit 71 Prozent die meisten davon in Deutschland. Eine Mehrheit der Befragten hat ein afrikanische oder afrodiasporisches Elternteil, bei 33 Prozent sind es beide Eltern.

Über 97 Prozent aller Befragten gaben an, Anti-Schwarzen Rassismus zu erleben, über 40 Prozent oft oder sehr häufig. Untersucht wurden 14 Lebensbereiche, darunter Gesundheit, Bildung, Ämter & Behörden, Wohnungsmarkt. In der Studie werde sichtbar, dass Anti-Schwarzer Rassismus in allen Lebensbereichen stattfinde. Es ließen sich dabei verschiedene Muster identifizieren: Die Betroffenen würden als »fremd« wahrgenommen, übermäßig sexualisiert und ihnen werde unterstellt, kriminell zu sein, z.B. Drogen zu verkaufen. Außerdem werden ihnen Kompetenzen aberkannt und ihre Erfahren würden bagatellisiert und abgeleugnet. Über 90 Prozent geben an, dass ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie Rassismus ansprechen. Dies habe den Effekt, dass nur etwa ein Viertel der Befragten solche Vorfälle melden oder sich Rat suchen.

Als Diskriminierungsgründe wurden am häufigsten rassistische Gründe oder »ethnische Herkunft« genannt (94 Prozent), Hautfarbe (92 Prozent), Geschlecht (53 Prozent). Aber auch Name, Bart/Haare, Sozialer Status und Sprache wurden häufig genannt. Bei allen Gemeinsamkeiten gebe es aber auch signifikante Unterschiede, die sich bei den Faktoren Geschlechteridentitäten, Behinderung oder Beeinträchtigung, Einkommen und der Anzahl der afrikanischen oder afrodiasporischen Elternteile zeigten, erklärte Teresa Bremberger, Co-Autorin der Studie bei der Vorstellung am Dienstag. So erführen etwa trans, inter und nicht-binäre Menschen im Bereich Gesundheit und Pflege besonders häufig Diskriminierung (rund 82 Prozent). Insgesamt stimmten 67 Prozent der Aussage zu: »Meine Ärzt*in nimmt meine Beschwerden nicht ernst.«

Der Afrozensus konzentrierte sich nicht nur auf Diskriminierung. So wurde auch herausgefunden, dass sich die Befragten überdurchschnittlich oft sozial engagieren.

»Die Ergebnisse der Studie kommen gerade rechtzeitig, um den politisch Verantwortlichen zu zeigen, wo sie handeln können und müssen«, sagte Bernhard Franke, der die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommissarisch leitet. Nötig seien flächendeckende Beschwerdestrukturen wie unabhängige Polizeibeauftragte. Die Studienautor*innen empfehlen unter anderem eine Expertenkommission, Aktionspläne zur Bekämpfung von Anti-Schwarzem Rassismus sowie Beratungsstellen zum Empowerment Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen. Ein wesentlicher Faktor sei die Finanzierung: Auch der Afrozensus selbst sei unterfinanziert gewesen. Neben Politik und Verwaltung adressieren sie die Community selbst: Es brauche Bündnisse und Austausch zu den verschiedenen Lebensrealitäten.

Struktureller Rassismus ist real. Ein Kommentar über den ersten
Afrozensus in Deutschland

Bisher hätten die Daten für konkrete Maßnahmen gefehlt. »Politik und Interessensvertretungen brauchen Daten, Zahlen, Beweise. Deutschland ist der Pflicht zum Erheben dieser Daten bisher aber nicht nachgekommen«, kritisiert Daniel Gyamerah, Co-Autor des Afrozensus. In bisherigen Studien werde nur der Migrationshintergrund erfasst. Darunter fallen auch Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind. Und ein Viertel der Befragten des Afrozensus hat keinen Migrationshintergrund. Den hat eine Person statistisch nur, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

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