Wind und Sonne treiben nicht die Inflation an

Energiewende sorgt kurzfristig für höhere und langfristig für niedrigere Teuerungsraten

  • Christoph Müller, Basel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Inflation in Deutschland lag vergangenes Jahr bei 3,1 Prozent. Die Preissteigerung ging im Wesentlichen auf höhere Energiepreise zurück. Diese verteuerten sich um 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Manche machen dafür die Energiewende, also den Umstieg auf erneuerbare Energien, verantwortlich und sprechen von »grüner Inflation«. Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur IEA, widerspricht dem jedoch vehement: »Es handelt sich nicht um eine Krise der erneuerbaren oder sauberen Energien, sondern um eine Krise des Erdgasmarktes.«

Aber auch wenn die aktuell hohen Energiepreise wenig mit der Energiewende zu tun haben, könnte diese dennoch preistreibend wirken. Davor warnte Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), jüngst in einer Rede: »Die Energiewende birgt messbare Risiken für unsere Basisprojektion der mittelfristigen Inflation.« Dafür gebe es drei Gründe: »Die Kombination aus kurzfristig unzureichenden Produktionskapazitäten für erneuerbare Energien, zurückhaltenden Investitionen in fossile Brennstoffe und steigenden CO2-Preisen bedeutet, dass wir möglicherweise vor einer langwierigen Übergangszeit stehen, in der die Energierechnung steigen wird.«

Der Anstieg der CO2-Preise ist schnell erklärt: Diese haben sich letztes Jahr mehr als verdoppelt und liegen jetzt bei über 80 Euro pro Tonne CO2. Dies liegt primär daran, dass Jahr für Jahr weniger CO2-Zertifikate für große Emittenten wie Kraftwerke oder Stahl- und Zementhersteller zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass wegen der hohen Gaspreise die Kohlekraftwerke in der EU vermehrt laufen und der Stromsektor deswegen zurzeit viele CO2-Zertifikate nachfragt.

In Deutschland wurde zudem Anfang 2021 eine CO2-Steuer für Benzin, Diesel und Heizöl eingeführt. Diese lag zunächst bei 25 Euro pro Tonne CO2 und steigt bis 2025 auf 55 Euro an. Rudolf Hickel, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen, schreibt daher: »Der Inflationseffekt ist vorprogrammiert.« Hickel schätzt, dass die Klimapolitik letztes Jahr insgesamt 1,1 Prozentpunkte zur Inflationsrate in Deutschland beigetragen hat.

Aus Sicht von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ist das nur folgerichtig: »Ein gewisses Maß an ›grüner Inflation‹ ist richtig und notwendig. Sie spiegelt eine Anpassung relativer Preise wider - die Preise für klimaschädliches Verhalten müssen steigen, um Anreize für Innovationen und alternative, ultimativ klimaneutrale Wirtschaftsprozesse zu setzen.«

Die preistreibende Wirkung der Energiewende ist allerdings nicht allein Folge der Klimapolitik, sondern auch dem Umstellungsprozess selbst geschuldet. Denn Investoren ziehen ihr Geld aus der Förderung von fossilen Energien ab. Daher werden weniger neue Vorkommen erschlossen. Solange die Nachfrage nach Öl, Kohle und Gas aber noch nicht deutlich zurückgegangen ist, sind diese Produkte folglich knapper und somit teurer.

Aber auch der Ausbau der erneuerbaren Energien kann preistreibend wirken. Plötzlich werden bestimmte Rohstoffe wie Kupfer oder Lithium in deutlich größeren Mengen gebraucht als zuvor, weshalb deren Preise steigen, bis die Förderkapazitäten ausgebaut werden.

Schließlich sind einige klimafreundliche Produkte zumindest anfangs tatsächlich teurer als herkömmliche. Das gilt etwa für grünen Stahl, der mit Wasserstoff anstelle von Kokskohle hergestellt wird. Die Beratungsfirma Boston Consulting Group hat für acht besonders rohstoffintensive Branchen untersucht, was das für die Preise bedeutet: »Eine durchgängige Dekarbonisierung dieser Lieferketten würde mittelfristig die Kosten für den Endverbraucher um nur ein bis vier Prozent der erhöhen.«

Der Grund für diese geringe Preissteigerung über den jahrelangen Umstellungsprozess liegt im letztlich geringen Anteil der Rohstoffe am Endpreis. Ein Auto, das aus grünem Stahl hergestellt wird, sei nur zwei Prozent teurer als eines aus herkömmlichen Stahl. Die meisten dieser Effekte sind allerdings vorübergehend. Öl und Gas sind nur knapp und relativ teuer, solange die Nachfrage noch da ist, und die Preise für Lithium und Kupfer höher, bis das Angebot erhöht wurde.

Edward Lees von der Großbank BNP Parisbas sagt über die Energiewende: »Mittelfristig ist sie immer noch deflationär, und darauf sollten sich die Menschen konzentrieren. Der Wind kostet nichts, die Sonne kostet nichts.« Hinzu kommt, dass die Energiewende auch aus der Perspektive der Preisstabilität nicht aufgeschoben werden sollte. Die Bank von England hat errechnet, dass es nicht nur zu einer Rezession kommen würde, wenn die Energiewende erst im Jahr 2031 startet, sondern dass auch die Inflation um zwei Prozentpunkte höher wäre.

Es ist also mehr als fraglich, ob der Ausdruck »grüne Inflation« richtig ist. Solar- und Windstrom sind in den letzten Jahren massiv billiger geworden und werden dies weiterhin. Was hingegen in der Energiewende teurer wird, sind eben vor allem CO2-Emissionen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!