- Politik
- Walter Lübcke
Gefahren für Lübcke wurden unterschätzt
Zeuge berichtete im hessischen Untersuchungsausschuss von Hunderten Hassnachrichten
Am Freitag hat der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages zum Mordfall Walter Lübcke getagt. Der Kasseler Regierungspräsident war im Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses erschossen worden. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer vom Bundesgerichtshof beantwortete Fragen zu Bewaffnung, Schießtraining und Waffenbesitzkarte. Von nicht vollständig dokumentierten Schießübungen von Täter Stephan Ernst und seinem Kumpel Markus H. war die Rede. Beide waren jahrelang in der rechtsradikalen Szene aktiv. Noch ist unklar, wer Stephan Ernst die Tatwaffe für den Mord an Lübcke verkauft hat. Das Landgericht Paderborn verhandelt in diesem Zusammenhang seit Anfang Januar gegen einen 66-Jährigen aus Borgentreich im Kreis Höxter. Nach Killmers Überzeugung hatte sich Ernst bewaffnet, um Lübcke zu ermorden.
Auch Killmers Aussagen zum Mordversuch an dem Flüchtling Ahmed I. waren wichtig. Persönlich hält er Stephan Ernst für die Tat verantwortlich, obwohl das Oberlandesgericht Frankfurt dies anders bewertet hatte. Der Abgeordnete Torsten Felstehausen (Linke) bemängelte, dass »dieser deutliche Hinweis auf fremdenfeindliches Verhalten überhaupt nicht in die Lagebeurteilung einbezogen worden« sei. Die Linke sei der festen Überzeugung, dass Lübcke noch leben würde, wenn man damals Stephan Ernst der Tat an Ahmet I. überführt hätte.
Ausgerechnet diese Zeugenaussagen waren für den Obmann Holger Bellino (CDU) aber offenbar uninteressant. Zwischen 10 und 11 Uhr war er ausschließlich damit beschäftigt, Regionalzeitungen zu lesen, daraus Seiten zu reißen und im Internet zu surfen. Er hüpfte von Profil zu Profil auf Facebook, während im Saal Fragen um den Mord an seinem Parteikollegen geklärt wurden.
Michael Conrad, ehemaliger Pressesprecher des Regierungspräsidiums, der ein langes und enges Arbeitsverhältnis mit Lübcke hatte, war auch an der Bürgerversammlung in Lohfelden am 14. Oktober 2015 dabei. Lübcke sei an dem Abend gesundheitlich angeschlagen gewesen, erinnert sich Conrad. Der CDU-Politiker informierte über ein Flüchtlingsheim, das in Kürze eröffnet werden sollte. Conrads Chef wurde aus dem Publikum in dem überfüllten Raum so lange mit »scheiß Staat« und ähnlichen Zwischenrufen provoziert, bis er sagte: »Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen.« Conrad fand Lübckes Reaktion gut.
Beim am Abend hochgeladenen Video wurde die Vorgeschichte nicht ersichtlich. So blieb die Botschaft, Lübcke habe allen die Ausreise empfohlen, welche die deutsche Asylpolitik ablehnen. Nachdem das Video ins Netz gestellt wurde, habe Lübcke mehrere hundert Droh- und Hassnachrichten erhalten, so Conrad. Es war ihm nicht bekannt, dass das Video 2019 erneut im Netz auftauchte. Unter anderem hatte es die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach, die kürzlich ihren baldigen Eintritt in die AfD angekündigt hatte, hochgeladen und einen erheblichen Shitstorm mit Morddrohungen ausgelöst.
Der dritte Zeuge Cihan Bilgic, ehemaliger Staatsschutz-Leiter im Kasseler Polizeipräsidium, gab an, 2015 nicht ermittelt zu haben, wer das Video ins Netz gestellt hatte, weil ständig »Videos gedreht und hochgeladen werden«. Eine Auswertung der Bedrohungslage habe keine konkrete Gefährdung für Lübcke gezeigt.
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