Auf der Kippe

Manche in der Linken setzen Hoffnungen in den Erfurter Parteitag, andere machten sich mit Befürchtungen auf den Weg. Eine Rundreise an der Basis einer angeschlagenen Partei

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Linke Basis – Auf der Kippe

Der kleine Mann steht am großen Pult auf der Bühne und redet sich in Rage. Er spricht von Arroganz, von pathologischen Zuständen, davon, dass sich die Partei »in einer extrem schwierigen Situation« befinde. Er benutzt Worte wie Hass, Tricksereien, Denunziationen, üble Nachrede. Der Hang zur Selbstzerstörung, sagt er, habe »damit zu tun, dass man Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt«. Immer wieder brandet im Saal Beifall auf während dieser Rede, die eine Mischung aus Standpauke und Wutausbruch ist. Manche haben Tränen in den Augen. Schließlich ruft der Mann auf der Bühne: »Wir haben kein Recht, unsere Partei zu verspielen.«

Der Mann ist Gregor Gysi, und nein, es ist kein Auftritt aus diesem Jahr, dem Jahr der größten Krise in der Geschichte der Linkspartei. Auch kein Szenario für den Parteitag der Linken an diesem Wochenende in Erfurt. Es war eine Rede vor fast auf den Tag genau zehn Jahren, im Juni 2012, auf einem Parteitag in Göttingen. Das Verrückte ist: Damals befand sich Die Linke auf dem Höhepunkt ihrer Popularität. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte sie satte 11,9 Prozent eingefahren. Sie erreichte in den ostdeutschen Bundesländern überall locker zweistellige Ergebnisse, teils weit über 20 Prozent und deutlich vor der SPD. In den alten Bundesländern hatte sie immer noch fünf Landtagsfraktionen, obwohl sie gerade erst aus den Landtagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein rausgeflogen war.

Und doch brodelte es in der Partei. PDS und WASG, seit 2007 zur Linkspartei vereinigt, waren noch lange nicht zu einer Einheit zusammengewachsen. Es waren die Auseinandersetzungen um Regieren und Opponieren, um radikale und pragmatische linke Politik nicht nur in der Bundesfraktion, die Gysi zu seiner pointenlosen Gardinenpredigt veranlassten. Die Zeiten haben sich geändert, und doch wirkt es jetzt wie ein Déjà-vu. Viele der damals umstrittenen Fragen sind auch heute noch umkämpft, wenngleich neue Themen hinzugekommen sind, an denen sich der Streit entzündet: die Coronakrise, der Krieg in der Ukraine, Fragen von Gender- und Identitätspolitik, zuletzt eine Sexismusdebatte.

Unmut und Ratlosigkeit sind in der Linken weit verbreitet in diesem Sommer 2022. Zerstrittenheit auch. Aufrufe werden verbreitet, Unterschriften gesammelt, Strömungen gegründet, als gäbe es davon nicht schon etliche. »Diese Partei in diesem Zustand braucht niemand«, urteilte die Brandenburger Landtagsabgeordnete Andrea Johlige in einer Erklärung. Die Linke müsse wieder mit einer Stimme sprechen, hört man oft, von Sahra Wagenknecht ebenso wie von Bodo Ramelow. Die Frage ist nur: mit welcher Stimme?

Wir sind auf Rundreise an der Parteibasis der Linken gegangen; es ist eine Suche nach Ursachen der Krise und eine Bestandsaufnahme in der Mitte eines Jahres, in dem viele in der Linken nicht wissen, was überwiegt: Hoffnung oder Skepsis.

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Der Erfurter Parteitag ist nicht der erste, zu dem Silvio Lang fährt. Er sei aber noch nie mit so viel Unlust und so großen Befürchtungen zu einem solchen Ereignis gefahren wie nun in die Thüringer Landeshauptstadt, sagt der ehrenamtliche Vorsitzende der Linken im ostsächsischen Landkreis Bautzen. Sogar das Wort Angst nimmt er in den Mund: »Ich habe Angst vor dem, was passieren kann.«

Lang ist seit 2009 Mitglied der Linken. Ein Hauptmotiv für seinen Eintritt war das antifaschistische Engagement der Partei. Lang ist heute sächsischer Landesvorsitzender der VVN-BdA; zuvor war er lange im Bündnis »Dresden Nazifrei« aktiv und zeitweise dessen Sprecher. Bei den Bemühungen, den zeitweilig größten Naziaufmarsch Europas zu verhindern, für den die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 als Vorwand diente, konnte das Bündnis stets auf die Linkspartei und ihre Abgeordneten zählen – auch wenn es zu Blockaden und zivilem Ungehorsam aufrief.

In den 13 Jahren seiner Mitgliedschaft hat Lang schon manches Tief erlebt. Den Absturz bei der sächsischen Landtagswahl 2019 etwa, als Die Linke bei mageren 10,7 Prozent landete. Allerdings habe er »zu keiner Zeit so am Zustand der Partei gelitten« wie seit der Bundestagswahl 2021. Dabei geht es nicht nur um das desaströse Ergebnis, sondern auch um die Frage, wie damit umgegangen wird: die Art der Debatten, der Auftritt nach außen, die ungeklärte Führungsfrage, der Schlingerkurs in wichtigen politischen Fragen, das Verhältnis von Partei und Bundestagsfraktion.

Der Bautzener Kreischef ist viel im ländlichen Ostsachsen unterwegs: in einstigen Hochburgen der PDS wie Hoyerswerda, wo sie den Oberbürgermeister stellte und Direktmandate für den Landtag gewann, aber auch in streng katholischen, sorbischen Dörfern, wo die Genossen nicht eben als erste Wahl galten. Er weiß, dass inhaltliche Unentschlossenheit ein Problem ist. Die Abstimmung über den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan etwa, in der die Abgeordneten ein Bild äußerster Uneinigkeit abgaben, sei »für den Wahlkampf extrem ungünstig« gewesen: »Das ist den Leuten schwer zu erklären.« Auch in der Ukraine-Krise sei bisher kein klarer Kurs erkennbar.

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Unterschiedliche Meinungen und Ansätze zum Krieg in der Ukraine und zur Nato? »Natürlich gibt es die«, sagt Stefan Jagel, »auch bei uns in München.« Der 38-Jährige sitzt seit Mai 2020 für die Linkspartei im Münchner Stadtrat und führt dort die dreiköpfige Fraktion. Jagel ist Krankenpfleger von Beruf und in der Gewerkschaft aktiv. Anders als zuweilen auf der Bundesebene der Linken gebe es unter den Münchner Genossen »eine sehr gute Diskussion auf solidarischer Ebene« – wobei das Wort solidarisch in diesem Fall auf den Umgang miteinander gemünzt ist. Man rede über die Differenzen, aber eben »nicht in giftigem Ton«, teilt Jagel einen dezenten Seitenhieb aus.

»Mein wichtigster Ansatz ist, dass die Leute miteinander sprechen«, sagt auch Luca Grimminger, Vorsitzender des Kreisverbandes Flensburg. Für ihn komme es nicht in Frage, das Gespräch zu verweigern, »nur weil jemand eine andere Position vertritt. Trotz Unterschieden in manchen Positionen können wir uns gemeinsam in der Partei zu Hause fühlen und an Projekten arbeiten.«

Woanders werden weitaus dramatischere Gedanken gewälzt, und dabei fällt schon mal das Wort Spaltung. »Ich hoffe nicht auf eine Spaltung, aber ich befürchte, es könnte so kommen«, sagt ein langjähriges Linke-Mitglied aus Thüringen, das schon in der PDS und davor in der SED war. Dass inzwischen oft kaum mehr zu erkennen sei, wofür die Partei genau stehe und wofür nicht, liege an den sehr unterschiedlichen Konzepten davon, was linke Politik eigentlich ist und für wen sie gemacht wird, die im Parteialltag nebeneinander stünden.

Die Verunsicherung an der Parteibasis ist greifbar. Wenn der Erfurter Parteitag kein schlüssiges Konzept für die nächsten Jahre finde und dieses Konzept nicht konsequent umgesetzt werde, dann würden sich viele engagierte Menschen von der Partei abwenden und in eine innere Emigration gehen, hört man im Gespräch mit Thüringer Parteimitgliedern. Das wiederum könne den Niedergang der Linken beschleunigen, vielleicht sogar bis zur Bedeutungslosigkeit. »Das ist in Ansätzen schon in den vergangenen Monaten geschehen«, sagt das langjährige Parteimitglied.

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Dass die Parteibasis erodiert, ist kein Geheimnis. Vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden ist die Entwicklung problematisch. Man könnte sie auch dramatisch nennen. In Brandenburg beispielsweise, einst einer der mitgliederstärksten Landesverbände der PDS mit Rekord-Wahlergebnissen, gibt es noch 4800 Mitglieder. Als die PDS 2007 mit der WASG zur Linkspartei fusionierte, waren es mehr als 10 000. Viele sind gestorben, es gibt aber auch Austritte. Zu denen, die zuletzt im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine enttäuscht gegangen sind, gehört Brandenburgs ehemaliger Finanzminister Helmuth Markov. Die Eintritte können die Verluste längst nicht kompensieren.

Die Gefahr, Mitglieder zu verlieren, womöglich auch prominente, erschwere die Diskussion über Inhalte, räumt der sächsische Landesvorsitzende Steffen Hartmann ein: »Aber mir wäre es wichtiger, die entscheidenden politischen Fragen zu klären, als auf Krampf bestimmte Personen zu halten.« Es gehe um programmatische Entscheidungen und nicht um Gewinner und Verlierer der notwendigen Auseinandersetzungen, auch nicht darum, »dass Leute entscheiden, ob sie in der Partei bleiben können«.

Auf jeden Fall werde die Klärung von Positionen »unweigerlich für Dissonanzen sorgen«, ist der Bautzener Silvio Lang überzeugt. Er weiß, wie es die Basisarbeit erschwert, wenn prominente Mandatsträger in Talkshows gegen die Beschlusslage der Partei argumentieren. Der Landkreis Bautzen zählt rund 300 000 Einwohner; die Zahl der Genossen liegt bei nur noch 450. Bei der Wahl der Stadt- und Gemeinderäte 2019 büßte die Partei, die einst ihre kommunale Verwurzelung als Grundlage ihrer Stärke pries, in Sachsen ein Drittel ihrer Mandate ein, in Ostsachsen teils die Hälfte. Die Linke ist dadurch für die Bürger immer seltener mit konkreten Personen verbunden. Der sächsische Landesverband will das ändern: Bei der Wahl 2024 will man in Orten mit weniger als 5000 Einwohnern mindestens ein Mandat erringen, in größeren Kommunen zwei. Lang weiß derzeit freilich nicht einmal, ob es gelingt, ausreichend Kandidaten zu finden. Die Nachwuchsarbeit habe zuletzt zu wünschen übrig gelassen, politische Talente ziehe es in die Metropolen.

Immerhin, es gibt gewisse Achtungserfolge. In Hoyerswerda unterstützte Die Linke bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst 2020 als Teil eines Bündnisses eine Kandidatin, die sich dem SPD-Konkurrenten nur knapp geschlagen geben musste. Und bei der kürzlichen Landratswahl in Bautzen kam der parteilose Alex Theile, den Die Linke gemeinsam mit SPD und Grünen aufgestellt hatte, auf 25 Prozent.

Es sind die kleinen Erfolgsgeschichten, aus denen sich linkes Selbstbewusstsein in diesen Zeiten speist. Eine kann der Luca Grimminger erzählen. Der 30-jährige gebürtige Husumer, der in Flensburg Bildungswissenschaften studiert, war einige Jahre SPD-Mitglied, dann kurz bei den Grünen, ehe er während des Europawahlkampfes 2019 seine politische Heimat bei der Linkspartei fand. »Wir schauen zuerst: Wo sind die Gemeinsamkeiten? Und nicht, wo können wir uns auseinanderdividieren«, sagt Grimminger. »Wir schaffen es, uns dann auf Themen zu fokussieren, wo wir nahe beieinander sind.« Dieser Stil hat dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Mitglieder im Kreisverband innerhalb von zweieinhalb Jahren verdoppelt hat. Jetzt sind es 110 Genossen.

Pragmatische Lösungen zu finden, das ist der Weg, den die Flensburger Linke geht, so Grimminger. Bei der OB-Wahl im September stellt die Partei keinen Kandidaten, unterstützt auch keinen Bewerber einer anderen Partei. Klar, auch dazu gab es konträre Meinungen. Die pragmatische Lösung: Die Linke wird Wahlprüfsteine erarbeiten, um ihre Position deutlich zu machen.

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Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Arbeit an der kommunalen Basis der Hoffnungsschimmer. Was bleibt einem Landesverband anderes übrig, der erst vor Kurzem bei der Landtagswahl mit nur 2,1 Prozent der Stimmen weit von einem Wahlerfolg entfernt war. Einer, der kommunalpolitisch aktiv ist, ist Michael Faber, Fraktionsvorsitzender im Bonner Rat. Die ehemalige Bundeshauptstadt wird seit anderthalb Jahren von einer Koalition aus Grünen, SPD, der Europapartei Volt und der Linken regiert. »Mitregieren ist anstrengender als Oppositionsarbeit«, sagt Faber, »es gibt viele Abstimmungsprozesse. Aber wir können damit Erfolge erzielen.« Bald gibt es etwa günstigere Nahverkehrstickets für Schüler und arme Menschen. Faber erzählt, dass die Zusammenarbeit im Kreisverband harmonisch sei, auch wenn man von unterschiedlichen Standpunkten komme. Die Kommunalpolitik sei einfach »ein eigener Kosmos«.

Auf Die Linke als Ganzes blickt der Bonner kritischer. Sie sende »zu viele widersprüchliche Signale«. Vom Parteitag in Erfurt erhofft er sich, dass der einen »Klärungsprozess« anstoßen kann. In Nordrhein-Westfalen ist dieses Thema stark mit dem Namen Sahra Wagenknecht verbunden. Teile des Landesverbandes wollten sie nicht mehr als Spitzenkandidatin auf der Landesliste für die Bundestagswahl, nachdem sie mitten im Wahlkampf ihrer Partei mit dem Buch »Die Selbstgerechten« die Leviten gelesen hatte. Die letzten Wahlkämpfe seien nur von Wenigen geführt worden, die Austritte nähmen zu, heißt es.

Wagenknecht vertritt wie Ex-Parteichef Oskar Lafontaine die These, dass Die Linke sich zu wenig ihren sozialen Kernthemen widme und stattdessen Modethemen des grün-liberalen Milieus bediene. Als der Interviewer im »Spiegel«-Gespräch mit Lafontaine dieser Tage beinahe wie ein Anwalt der Partei einwendet, Die Linke bleibe doch bei ihren sozialen Forderungen, diese hätten im Bundestagswahlkampf die Hauptrolle gespielt, sagt der inzwischen parteilose Lafontaine, davon hätten die Wähler offenbar nichts bemerkt. Und: »Solange ich Parteivorsitzender oder Spitzenkandidat war, stimmten die Ergebnisse.«

Als »extreme Herausforderung« für Die Linke bezeichnet der Münchner Stefan die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Gerade linke Politik lebe doch vom persönlichen Gespräch und das habe es lange Zeit nicht mehr gegeben. Auch nicht auf Betriebsebene, die Kantinen seien ja auch geschlossen gewesen. Das Parteileben sei völlig auseinandergebrochen. Jetzt müssten die Mitglieder motiviert werden, das alles wieder in Gang zu bringen.

Nicht wenig wird davon abhängen, ob in Erfurt ein Aufbruch gelingt und wer danach Die Linke führt. Gregor Gysi meint, die Partei müsse sich bei der Wahl der neuen Parteispitze für eine Führungskraft mit Autorität entscheiden. Wer das sein soll, ließ er offen. Nur soviel erklärte er: Er selbst werde nicht mehr Parteivorsitzender. Der langjährige Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich twitterte jüngst einen »verrückten Gedanken«: Vielleicht sollten alle, die teils seit Jahrzehnten in Führungsverantwortung »die Partei dahin gebracht haben, wo sie jetzt steht, einfach mal eine neue Generation ranlassen«.

Der Bautzener Silvio Lang hält anderes für wichtiger als die Frage, wer in Erfurt in die Parteispitze gewählt wird: »Wir müssen grundsätzliche Positionen klären.« Das einst ebenfalls in Erfurt beschlossene Programm der Bundespartei sei »gut, aber nicht mehr aktuell«. Auf viele heutige Fragen gebe es keine oder nicht mehr zeitgemäße Antworten. Das betreffe die Klima- und die Außenpolitik, auch das Bedingungslose Grundeinkommen. »Da müssen wir Entscheidungen treffen«, sagt Lang. Und: »Noch wichtiger ist, dass wir sie dann auch konsequent vertreten.« Die Brandenburgerin Andrea Johlige wünscht sich neben einer personellen und inhaltlichen Erneuerung auch ein neues Image der Partei. Mit dem derzeitigen Image sei es »wie mit einem ausgewaschenen T-Shirt, für das man sich ein bisschen schämt, nur ist gerade kein anderes im Schrank«.

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Wird die Linke in Erfurt einen Ausweg aus der Misere finden? Silvio Lang hebt die Schultern. Er werde sein Delegiertenmandat wahrnehmen, sagt er: »Ich sehe das als meine Pflicht.« Aber ob er mit mehr Hoffnung von der Veranstaltung zurückkehrt: Da ist er sich nicht so sicher.

Andrea Johlige fühlt sich derzeit gelegentlich an Stefan Heym erinnert. Der Schriftsteller, der 1994 für die PDS einen Bundestagswahlkreis gewann, hatte am 4. November 1989, im Wendeherbst der DDR, auf einer Großkundgebung den berühmten Satz gesagt: »Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation.« Wie schön wäre es, schreibt Johlige in einer Erklärung, »wenn wir rückblickend in ein, zwei Jahren sagen könnten, dass der Parteitag in Erfurt der Ausgangspunkt war, an dem ein solcher Prozess begonnen hat«.

Kürzlich sagte Gregor Gysi in einem Interview, in der Partei herrsche ein Klima der Denunziation. In Interviews merkt man, wie sehr ihm der Zustand der Linken an die Nieren geht. Gysi hat nach seinem Rückzug vom Fraktionsvorsitz schon mehrfach auf Parteitagen angekündigt, er halte seine letzte Rede auf einem solchen Podium. Bisher gab es noch immer eine Rede nach der letzten. Wie man hört, will er sich auch an diesem Wochenende in Erfurt zu Wort melden. Er ist jetzt seit mehr als 30 Jahren in der Politik, so lange wie Angela Merkel. Die Ex-Kanzlerin sagte neulich, sie nehme nun nur noch Wohlfühltermine wahr. Kann sein, dass Gysi das auch gut gefallen würde. Seine Rede in Erfurt ziemlich genau zehn Jahre nach der in Göttingen aber, so viel kann man jetzt schon sagen, wird ganz und gar kein Wohlfühltermin.

Text und Recherche: Andreas Fritsche, Sebastian Haak, Wolfgang Hübner, Hendrik Lasch, Robert D. Meyer, Rudolf Stumberger, Sebastian Weiermann

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