Die Schreib-Maschinen

Leo Fischer über den unaufhaltsamen Vormarsch der Künstlichen Intelligenz

Schreibe eine Rede für Olaf Scholz, aus der hervorgeht, dass er sie betrunken verfasst hat! Formuliere eine Stellenausschreibung für den nächsten Papst! Die Ergebnisse, die solche Anfragen bei intelligenter Chatsoftware, bei ChatGPT und Co. produzieren, kursieren derzeit in Autor*innen- und Redakteur*innenkreisen. Die nicht anders als erstaunlich zu nennenden Leistungen der Künstlichen Intelligenz wecken bei berufsmäßig oder habituell Schreibenden eine Mischung aus Staunen, Arroganz – und kaum verhohlener Existenzangst: Penibel werden dann die Fehler der Schreib-Maschine aufgezeigt; aus ihnen wird voll Inbrunst die Unersetzlichkeit menschlicher Autor*innenleistung abgeleitet.

Es ist dieselbe Inbrunst, die einst Stummfilmorchester oder Telegrafist*innen zur Verteidigung ihrer Unabkömmlichkeit aufbrachten. Vornehm gruselt man sich vor »seelenlosen« Texten, als wäre das, was der Durchschnittsjournalist aus Pressemitteilungen und Agenturmeldungen zusammenstümpert, innerlichkeitsentrungene Poesie. Das Onlineportal Buzzfeed hat bereits erste Autor*innen entlassen, um gewisse Texte von Maschinen schreiben zu lassen. Es geht um mehr als Nachrichtenjournalismus, dessen Automatisierungsmöglichkeiten ja klandestin schon genutzt werden. Die Programme können Kolumnen schreiben, Glossen, sogar Rezensionen. Dass die K.I. die entsprechenden Bücher nicht gelesen, nicht verstanden hat, unterscheidet sie nur im Ausnahmefall von menschlicher Autor*innenschaft.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Statt nach dem schwindenden »Echten« im Text zu fragen, sich gegen die Roboter abzugrenzen, sollten sich die Schreibenden mal nach der Rolle von Text in der Gesellschaft insgesamt fragen. Während alle fortwährend schreiben, liest im Grunde niemand mehr, jedenfalls nicht, ohne wieder darüber zu schreiben. Die klassischen Suchmaschinen liefern neben Hinweisen auf eine Wikipedia, die von Marketing-Menschen glattgebügelt wird, seitenweise Pseudohomepages voll stichwortoptimierter Nullprosa, die leider noch immer von Menschen geschrieben wird. Schüler*innen geben ihre Fragen bei Tiktok ein und erhalten ihre Antworten von Influencer*innen-Accounts, die ihr Wissen von eben jener Wikipedia beziehen.

Die Literatur wird im vollends merkantilisierten Buchbetrieb zum Marketingvehikel: Jeder halbwegs erfolgreiche Tweet führt zu einer feinlektorierten Buchpublikation, in der nichts steht, was überraschen oder enttäuschen könnte. In den 80ern mochten Intellektuelle noch verschrobene Gestalten mit kauzig selbstgebastelten Meinungen sein; was hingegen Daniel Kehlmann oder Juli Zeh zu Pandemie, Totalitarismus und werweiß großem Austausch zu sagen haben, unterscheidet sich vom Gegrantel verhärmter Youtuber mit Glück nur durch den breiteren Wortschatz. Keine Aufklärung konnte den Geniekult so nachhaltig beschädigen wie Social Media: Was Juli Zeh in zwei Monaten zu einem beliebigen Thema sagen wird, steht schon jetzt so unverrückbar ehern fest, dass ihre Texte genauso gut von einem Roboter geschrieben werden könnten. Die »Hochliteratur«, inzwischen eine Liebhabersparte mit winzigen Auflagen, ist so jeder Überraschung fern wie die von Zehntausenden Self-Publishern herausgepresste Fanfiction, die Amazon überflutet.

Die Appropriation des Geistes durch die Maschine ist da nicht zu fürchten, wo der Geist selbst schon maschinell geworden ist, wo die Leute sich ohne Not zu Robotern machen. Eher wäre noch darauf zu hoffen, dass echte Originalität künftig aus der Maschine kommt.

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