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Armut ist nicht selbstverschuldet, sondern politisch gewollt
Olivier David über eine Fernsehdoku über Armut, die keine Klischees auslässt
Vor ein paar Tagen lief im WDR die Dokumentation »Zirkus is nich: Dominik und die Suche nach der verlorenen Kindheit«. In der Doku geht es um Kinderarmut, genauer: um den Fall von Dominik und seiner Familie, bei der es anscheinend nicht mal für einen Nachnamen reicht – um die Familie zu schützen oder weil arme Menschen kein Anrecht darauf haben. Niemand braucht sich die Doku anzugucken. Es ist eine einzige Aneinanderreihung von Stereotypen, die die Filmemacherin Astrid Schult da abliefert. Die Interviewtechnik ist ein einziges Kuddelmuddel, geschlossene Fragen wechseln sich mit Suggestivfragen ab. Es ist eine Lehrstunde darüber, wie man es nicht machen sollte. Und trotzdem lohnt es, sich mit der Doku zu beschäftigen.
Die Story geht folgendermaßen: Vor 17 Jahren hat die Filmemacherin den achtjährigen Dominik begleitet, der emotional verwahrlost aufwächst und sich um seine dreijährige Schwester kümmern muss. Jetzt, mit 25 Jahren, begleitet sie ihn erneut und fragt, wie es ihm heute geht und wie er auf seine Kindheit schaut. Ständig wird im Film geweint, ob der traumatischen Erlebnisse, die Dominik erfahren hat. Am Ende ist alles ein großer, gefühliger Brei. Astrid Schult inszeniert einen Showdown: Dominik und seine Mutter schauen sich den Film von damals gemeinsam an. Anschließend weint die gesamte Familie. Ende.
Die einzige Einordnung, die der Film liefert, sind Interviews mit Menschen vom Verein »Arche«, die Dominik und seinen Geschwistern geholfen haben und die immerhin ansprechen, dass Armut ein politisches Problem sei. In einem Rückblick auf Dominiks Kindheit wird eine Folge der Talkshow »Hart aber Fair« gezeigt, in der der junge Armin Laschet bedröppelt schaut und davon faselt, dass die Politik Kinder wie den kleinen Dominik aus der Familie holen müsse.
Was beim Anschauen der Doku erstens im Gedächtnis bleibt: Dominiks Mutter ist mindestens eine Rabenmutter. Zweitens: Der junge, jetzt erwachsene Dominik leidet an seiner Kindheit, der Gewalt und der emotionalen Verwahrlosung. Drittens: Niemand kann etwas für die Armut, außer vielleicht Dominiks Mutter.
Wenn über Kinderarmut gesprochen wird, soll das Emotionen wecken. Das ist nicht per se schlecht, denn Emotionen können Menschen mobilisieren, sie können politisieren, für Aufmerksamkeit sorgen, die dann wieder in politische Handlungen umgemünzt werden können. Was die Doku aber macht – und hier drin unterscheidet sie sich leider oft nicht vom Diskurs von Kinderarmut generell – ist, dass sie das Gespräch über Armut ins Klein-Klein des Privaten verschiebt.
Als hätten Menschen wie Dominiks Eltern jemals eine Chance auf ein würdiges Leben gehabt. Das hätte benannt werden müssen. Und dass der Staat sich im Grundgesetz verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten. Eine Aufgabe, an der er mit Absicht scheitert.
Das Problem an der Beschäftigung mit Kinderarmut ist nicht, dass arme Kinder als vulnerable Gruppe eine spezifische Form der Hilfestellung brauchen, sondern dass es mit einem moralischen Framing einhergeht. Denn Kinder können ja wirklich nichts für ihre Armut; sie haben noch nichts falsch gemacht. Kinder sind unschuldig. Dass das im Umkehrschluss aber bedeutet, dass es andere Arme gibt, die Schuld an ihrer Armut haben, entlarvt viele Leute, die sich gegen Kinderarmut engagieren. Doch die politisch verschuldete Armut von 13,5 Millionen Menschen in Deutschland interessiert dann oft nicht.
Natürlich gibt es Menschen, die genau wissen, dass sie Armut nur verwalten und Not höchstens lindern, aber trotzdem ihre Arbeit erledigen und Kindern in Notsituationen helfen. An sie gilt der Appell, sich noch mehr für die politische Bekämpfung von Armut einzusetzen – und so an ihrer eigenen Abschaffung zu arbeiten.
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