Nazidreck unterm Sonnendeck

Leo Fischer über das Funktionieren und die politische Wirkung großer Digitalkonzerne

Im nächsten Jahr will die Bundesregierung Millionenbeträge im Kampf gegen rechts streichen. Angesichts der Zustimmungswerte zur AfD eine nahezu suizidale Entscheidung, ein Eingeständnis der Hilflosigkeit. Gleichzeitig muss man nach der Wirkung der bisherigen Maßnahmen fragen, bedenkt man die weitgehend eingestellte Regulierung der großen Social-Media-Konzerne. Noch die besten Monitoring-, Melde- und Fortbildungsmaßnahmen im Kampf gegen rechts erscheinen angesichts der erwiesenen Radikalisierungswirkung von Social Media wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Youtube, Twitter und Co. ermöglichten ein rechtsradikales Medienuniversum, von dem ein Hugenberg nur träumen konnte: eine sich selbst verstärkende Radikalisierungsmaschine, die Menschen konsequent in immer abseitigere Ecken des Internets treibt, in immer bizarrere Ideologien hineintunnelt. Dabei werden die Kosument*innen auch zu Erzeuger*innen erzogen, werden an jeder Stelle ermuntert, es den rechten Influencer*innen gleichzutun. Die Entfremdung von Familie und Freund*innen, die die Radikalisierung mit sich bringt, wird durch eine immer verzweifeltere Hinwendung an das parasoziale Erleben auf Social Media, durch virtuelle Kameradschaft mit gleichartig Getäuschten scheinbar kompensiert.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegen gelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Der Versuch ihrer Regulierung darf als weitestgehend gescheitert bezeichnet werden. Seit der Übernahme durch Elon Musk wurde Twitter zu einem zweiten Truth Social, einem Klon des Trump-eigenen Netzwerks. Einst gesperrte rassistische White-Power-Accounts sind im Namen einer pervertierten Meinungsfreiheit wieder online. Die früher an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit gefilterten Nazi-Accounts können sich mit einem Acht-Dollar-Abonnement zurück in die Meinungsarena kaufen, dominieren mit ihren Phrasen den Kommentarbereich unter jeder Nachricht.

Das Netzwerkdurchsuchungsgesetz, der große Wurf des damaligen SPD-Justizministers Maas, scheint nur mehr der Form nach angewendet zu werden – oder angesichts der Flut an Unrat keine Wirkung mehr zu entfalten. Die Konzerne, die von Interaktionen, Klicks und Drama leben, setzten es ohnehin nur höchst widerwillig um; sie verdienen mit ihrem Nazi-Publikum schlichtweg Geld und wollen nicht darauf verzichten.

Bemerkenswert sind die Selbstdarstellung dieser Konzerne, die sich symbolisch an die Spitze eines scheinbar aufgeklärten Kapitalismus stellen, wie auch Selbstverständnis und Lebensgefühl jener, die für sie arbeiten: Sie unterstützen die LGBTQ-Bewegung, informieren über Klimawandel, fördern Diversität und predigen Nachhaltigkeit. Ihre Mitarbeiter*innen sehen sich als geistige Elite und leben auf dem Sonnendeck, während die Maschinen im Keller unablässig Lügen und Hass produzieren. Das Problem, das sie selbst jeden Tag aufs Neue schaffen, streifen sie auf einer ideellen, persönlichen Ebene ab.

Die Zurückhaltung, die die Regierungen im Umgang mit den Social-Media-Konzernen pflegen, ist mit Sicherheit auch darauf zurückzuführen: auf die erfolgreiche Selbstvermarktung der größten Multiplikatoren faschistischer Propaganda als die besseren Menschen. Doch wem ist damit genutzt, wenn Google CO2-neutral produziert, während sich auf seinen Servern die Klimalügen potenzieren? Und was nützt ein Förderprogramm zur Diversität bei Meta, wenn sich in klandestinen Facebook-Gruppen weiter Nazis organisieren können?

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