Demo gegen Wiesenhof: Tierschutz statt Megaställe

Das Bündnis »Wir haben es satt!« demonstriert vor dem Schlachthof des Wiesenhof-Konzerns für die Abschaffung von Tierfabriken

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 7 Min.
Aktivist*innen konfrontieren den Geflügelkonzern Wiesenhof am Freitag direkt neben seinen Ställen mit einem riesigen rosa Kreuz, dem Symbol gegen Tierleid.
Aktivist*innen konfrontieren den Geflügelkonzern Wiesenhof am Freitag direkt neben seinen Ställen mit einem riesigen rosa Kreuz, dem Symbol gegen Tierleid.

Eine Million Hühner fristen im Megastall des Geflügelkonzerns Wiesenhof in Königs Wusterhausen ihr kurzes Dasein. Täglich wird rund ein Zehntel von ihnen geschlachtet und landet eingeschweißt als Wurst oder Grillware zum Schnäppchenpreis im Supermarktregal. »Viele kleinbäuerliche Betriebe können da nicht mithalten und werden verdrängt«, sagt Inka Lange zu »nd«. Sie ist Kampagnenleiterin und Sprecherin des Bündnisses »Wir haben es satt!«.

An diesem Wochenende heißt es konkret: »Wir haben Tierfabriken satt!« Unter diesem Motto demonstriert das Bündnis am Samstag vor den Toren von Wiesenhof für die Abschaffung der industriellen Tierhaltung. Der Konzern gehört zur Unternehmensgruppe PHW, dem größten Geflügelunternehmen in Deutschland und dem viertgrößten in Europa. Die Reihe an Vorwürfen gegen die PHW-Gruppe ist lang: von Tierquälerei und Antibiotika-Fütterung über schlechte Arbeitsbedingungen und Überanspruchung des Grundwassers bis hin zu Steuerhinterziehung und Preiskartellen.

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»Wiesenhof ist eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt und übernimmt keinerlei Verantwortung«, findet Lange. 2017 demonstrierte »Wir haben es satt!« schon einmal gegen Wiesenhof. Seit zwölf Jahren gibt es das Bündnis von 65 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz sowie dem sozialen Bereich – darunter die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, Greenpeace und Foodsharing –, das vor allem für die jährliche Großdemonstration »Wir haben Agrarindustrie satt!« in Berlin bekannt ist.

In diesem Jahr ist Tierhaltung der Schwerpunkt des Protests. Denn in Kürze steht eine Novelle des Tierschutzgesetzes an, die Tierschützer*innen für völlig unzulänglich halten. Unter anderem soll es weiterhin erlaubt sein, Tieren Schwänze oder Schnäbel abzuschneiden oder sie angebunden zu halten. Die Halbzeitbilanz der Ampel-Regierung und ihres Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne) sei, was den Tier- und Umweltschutz angehe, »ernüchternd«, sagt Lange.

Zum Teil liege es natürlich auch daran, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Mittel nicht freigebe, die für den Umbau der deutschen Tierhaltung im Sinne des Tierwohls nötig wären. Die Borchert-Kommission, ein Expertengremium zur Nutztierhaltung, hatte vor drei Jahren ein entsprechendes Konzept erarbeitet, wofür jährlich drei bis fünf Milliarden Euro veranschlagt wurden. Da »der Entwurf zum Bundeshaushalt 2024 den notwendigen Durchbruch nicht erkennen« lasse, wie die Borchert-Kommission in einem Statement mitteilte, löste sie sich im August auf.

Aber auch die Brandenburger Politik hat sich um das Tierwohl nicht allzu verdient gemacht. 2016 sei in dem Bundesland, in dem auch Wiesenhof sitzt, ein Volksbegehren gegen Massentierhaltung erfolgreich gewesen, doch danach habe sich nicht wirklich etwas geändert, kritisiert Lange. Das schade nicht nur den Tieren, sondern auch kleineren landwirtschaftlichen Betrieben. Das wiederum hat mit der EU-Politik zu tun: Von den Agrarsubventionen der Europäischen Kommission profitieren nämlich vor allem große Unternehmen. Höfe, die weniger Tiere pro Quadratmeter halten, auf Biobetrieb umgestellt haben oder umstellen wollen, seien nicht konkurrenzfähig gegenüber dem PHW-Monopol, dessen Hühnchenpreise »weder Lohn- noch Umweltkosten einbeziehen«, so Lange.

»Wir haben es satt!« will die Tierhaltung gar nicht abschaffen. Diese sei nämlich auch für das Düngen von Äckern und eine Kreislaufwirtschaft von Vorteil. Es gehe darum, Tiere artgerecht, möglichst auf Weiden und maximal in der Anzahl zu halten, die der Boden verträgt. Das würde die Menge der Nutztiere jedoch automatisch reduzieren. »Wir wollen Megaställe dicht machen und Tieren mehr Platz geben«, bringt Lange es auf den Punkt. Staatliche Förderungen sollte es nicht für möglichst große Betriebe, sondern für biologische Landwirtschaft, Weide- und Freilandhaltung geben. Das käme sowohl kleineren regionalen Unternehmen als auch dem Klima zugute, denn die Tierhaltung ist für 14,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. In Deutschland machte sie 2022 laut Umweltbundesamt knapp 70 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen aus.

Nicht zuletzt würde weniger Tierhaltung auch der weltweiten Ernährungsarmut entgegenwirken, da Flächen dann eher für den Anbau von Lebens- als von Futtermitteln genutzt würden. Deshalb fordert »Wir haben es satt!« Fleischpreise, die den wahren Kosten für Mensch, Tier und Umwelt gerecht werden, und dafür eine Senkung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte wie Hafermilch oder Fleischersatz. Diese fallen bislang unter den regulären Steuersatz von 19 Prozent, während Milch und Fleisch mit nur sieben Prozent besteuert werden. Da sich immer mehr Menschen vegetarisch oder vegan ernährten, sei das »nicht mehr zeitgemäß«, findet Lange.

Schließlich hat das Bündnis noch eine Reihe an sozialen Forderungen: neben fairen Arbeitsbedingungen in Ställen und Schlachthäusern auch die Erhöhung von Mindestlohn und Bürgergeld sowie eine Übergewinnsteuer. »Umwelt und Soziales müssen zusammengedacht werden«, betont Lange. »Wir können nicht gutes Essen produzieren wollen, wenn es sich gleichzeitig niemand leisten kann.«

Auch wenn an diesem Samstag Wiesenhof angesteuert wird, richten sich die Forderungen an die Politik, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern kann. Denn die Konzerne werden sich ohne Druck nicht bessern, glaubt Lange. Wiesenhof sei eher ein Stellvertreter »für das agrarindustrielle System, das wir abschaffen wollen«. Dennoch suche man auch mit der Tier- und Agrarindustrie den Dialog: Am Freitagabend beteiligte sich der Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDK), Wolfgang Schleicher, sogar an einer Podiumsdiskussion im Camp von »Wir haben es satt!«.

Er halte es jedoch für »nicht nachvollziebar«, dass sich der Protest gegen die deutsche Geflügelbranche richte, antwortet Schleicher – stellvertretend auch für Wiesenhof – auf eine Anfrage von »nd«. Im internationalen Vergleich würden hier »hohe und strenge ökologische und soziale Standards« eingehalten. Das bedeute, dass 90 Prozent der Masthähnchen nach dem Standard der Initiative Tierwohl gehalten würden – einem Bündnis der deutschen Fleischindustrie –, was einer Besatzdichte von 35 Kilogramm Lebendgewicht pro Quadratmeter entspreche. Bei einem Masthähnchengewicht von rund zwei Kilogramm dürften also immerhin etwa 17 Tiere auf einen Quadratmeter kommen.

Höhere Standards sollten laut dem ZDK-Geschäftsführer auf EU-Ebene entschieden werden, da strengere Bundesgesetze »Wettbewerbsnachteile für unsere Betriebe« bedeuteten, dies zu einem Abwandern der Erzeugung aus Deutschland führen würde und zum Import von Produkten, für die geringere Standards gelten. Die Forderung nach kleineren Ställen und weniger Tieren nennt Schleicher »faktenfreien Populismus«. Sie romantisiere die Tierhaltung der Vergangenheit und »bedient das Spendengeschäftsmodell der bekannten Organisationen«, behauptet er.

Was den Einsatz von Antibiotika betrifft, verweist Schleicher darauf, dass dies in Deutschland lediglich zur Behandlung kranker Tiere erlaubt sei, nicht jedoch zur Leistungssteigerung. Die Deutsche Umwelthilfe und Germanwatch bewerten die aktuellen Regelungen jedoch als unzureichend, da zum Beispiel auch »Gruppentherapien« möglich sind. Die Forderung von »Wir haben es satt!« nach einem Verbot von Pestiziden in der Landwirtschaft sieht Schleicher ebenfalls kritisch. Ein sparsamer, aber zielgerichteter Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln ist seiner Ansicht nach notwendig, um die Versorgung nicht zu gefährden.

Wie das Ernährungssystem möglichst tiergerecht und ökologisch gestaltet werden kann, wird an diesem Wochenende auch im Camp diskutiert, das das Bündnis zusätzlich zur Demonstration in Königs Wusterhausen organisiert. Bis Samstag sind Vorträge, Workshops, Essen und Musik geplant. Das soll der Bildung und Vernetzung dienen und die Bewegung nach innen stärken. »Keine Revolution ohne Tanz«, erklärt Lange.

Die Demonstration beginnt am Samstag um 12 Uhr am S-Bahnhof Königs Wusterhausen und zieht von dort zum Wiesenhof-Schlachthof. Ausgehend vom Camp auf der Festwiese Niederlehme findet am Sonntag von 10 bis 14.30 Uhr noch ein Hofausflug zum Biohof Klass statt.

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