Bolivien: Sozialistische Alphatiere im Clinch

In Bolivien eskaliert der Streit zwischen Präsident Luis Arce und Parteifreund und Ex-Präsident Evo Morales

  • Steffen Heinzelmann, La Paz
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Vorhaben ist nicht neu: Der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales (2006–2019) will bei der nächsten Wahl im Jahr 2025 erneut um das Amt kandidieren. Die Delegierten des nationalen Kongresses der Bewegung zum Sozialismus (MAS) bestätigten am vergangenen Mittwoch Morales als Parteivorsitzenden und erklärten ihn zum »einzigen Kandidaten« für die Präsidentschaftswahl 2025. Der amtierende Staatspräsident Luis Arce und Vizepräsident David Choquehuanca dagegen wurden wegen Abwesenheit auf dem Parteitag aus der Partei ausgeschlossen.

Der Streit zwischen Morales und Arce um die Präsidentschaftskandidatur 2025 und die Macht in der Partei verschärft sich damit weiter; derzeit setzen beide darauf, ihre Unterstützer*innen an der Basis zu mobilisieren: Mehrere soziale Bewegungen und der Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften (COB) hatten den Kongress am 3. und 4. Oktober in Lauca Ñ im Departamento Cochabamba schon davor für »illegal und illegitim« erklärt. Stattdessen hat der »Einheitspakt«, den fünf einflussreiche politische Basisorganisationen bilden, für den 17. Oktober in El Alto eine große Versammlung und einen Protestmarsch angekündigt. Es ist möglich, dass dort die Präsidentschaftskandidatur von Luis Arce verkündet wird.

Eine Teilnahme am Kongress in Lauca Ñ hatten die drei Gründungsorganisationen der MAS, der Gewerkschaftsbund der Landarbeiterinnen (CSUTCB), der Gewerkschaftsbund der interkulturellen Gemeinschaften (CSCIB) und die Landfrauenorganisation Bartolina Sisa, bereits vor der Veranstaltung abgelehnt, weil dort deutlich weniger Vertreter*innen von ihnen teilnehmen sollten als auf den Parteitagen zuvor. Auch Arce und Vizepräsident Choquehuanca hatten beschlossen, nicht am Kongress teilzunehmen: »Wir können nicht in ein Haus gehen, in dem die wirklichen Eigentümer, die sozialen Organisationen, nicht anwesend sind«, hatte Arce dies begründet.

Auf der Versammlung im tropischen Teil Cochabambas, der als politische und gewerkschaftliche Bastion von Morales gilt, trafen die mehr als 1000 Delegierten dann zügig Entscheidungen; der Parteitag endete einen Tag früher als geplant: Die Teilnehmenden wählten Morales zum Parteivorsitzenden und ernannten ihn zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2025. Arce und Choquehuanca wurden ebenso wie 20 weitere Abgeordnete und Politiker*innen aus der Partei ausgeschlossen – eine »Autoexpulsión«, also ein »Selbstausschluss«, da sie nicht am Parteitag teilgenommen hatten. »Die MAS wird unsere Revolution zurückgewinnen, um das Vaterland erneut zu retten«, betonte Morales am Ende seiner Abschlussrede auf dem Kongress.

Der Parteitag hat allerdings ein juristisches Nachspiel. Am zweiten Tag der Versammlung gab das Verfassungsgericht des Departamentos Santa Cruz einem Antrag der regionalen Organisation der Bartolina Sisa statt und ordnete die Unterbrechung des Kongresses an. Die Anhörung dazu soll am 23. Oktober stattfinden; danach könnte entschieden werden, ob die Einberufung des Kongresses und die Entscheidungen der Teilnehmenden gültig sind. Bis dahin soll auch ein Bericht des Obersten Wahlgerichts über die korrekte Einhaltung des Verfahrens vorliegen.

Der Konflikt zwischen Morales und seinem langjährigen Wirtschaftsminister Arce hat nicht nur die Partei gespalten, sondern auch die Basisorganisationen. Nach dem Wahlsieg 2020 präsentierten sich Luis Arce und David Choquehuanca als Regierung der Erneuerung, das Umfeld von Evo Morales blieb politisch und bei der Verteilung von Posten und Einfluss außen vor. Der Streit gewann spätestens im September 2022 an Schärfe, als Morales einen »schwarzen Plan« gegen sich anprangerte.

Bis zur Wahl Ende 2025 ist zwar noch Zeit, falls es innerhalb der MAS keine Einigung gibt oder sich eine der beiden Parteiströmungen durchsetzt und danach die volle Unterstützung erhält, könnte sich das politische Bild Boliviens jedoch erstmals seit dem ersten Wahlsieg von Morales 2005 entscheidend verändern. Álvaro García Linera, der von 2006 bis 2019 Vizepräsident der Regierung Morales war und seit Monaten vor dem politischen Desaster einer Spaltung der MAS warnt, versicherte bereits, dass die Folge eines Bruchs eine Niederlage 2025 bedeute und dass Morales wie Arce die »moralische, historische und politische Verpflichtung zur Einheit« hätten.

Wenn am Ende tatsächlich Arce und Morales beide kandidieren, wird eine wichtige Frage, wer mit dem Akronym MAS antreten darf. Das Parteikürzel der Bewegung zum Sozialismus steht für den einschneidenden gesellschaftlichen Wandel in Bolivien der vergangenen beiden Jahrzehnte und vier siegreiche Präsidentschaftswahlen seit 2005. »Für diesen Namen könnte Blut fließen, denn es ist ein sehr mächtiger Name in einer Wahl«, erklärt Fernando Molina, bolivianischer Journalist und Autor des Buches »Die Krise der MAS« im Gespräch mit »nd«.

Im Falle eines Streits um die Nutzung der Abkürzung MAS würde die Entscheidung beim Obersten Wahlgericht liegen. Darauf wollen die Organisator*innen des »Cabildo«, der großen Versammlung am 17. Oktober aber nicht warten: In El Alto wolle man mindestens 1,5 Millionen Menschen mobilisieren zur Unterstützung von Luis Arce, um das Akronym MAS »zurückzugewinnen«, wie der Vorsitzende der interkulturellen Gemeinschaften CSCIB, Vidal Gómez, im Interview mit La Razón Radio bekräftigte: »Es ist an der Zeit, einen Plan zu erstellen, Entscheidungen zu treffen und einen Kandidaten zu proklamieren.«

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