Polizeialltag: Lebendig und von großer Authentizität

Ute Kähler hat Erlebnisse von Polizisten im einst geteilten Berlin zusammengeführt

  • Barbara Slowik
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein ferngesteuerter Modell-Wartburg der Volkspolizei in einem DDR-Kinderzimmer im Museum in Auerbach.
Ein ferngesteuerter Modell-Wartburg der Volkspolizei in einem DDR-Kinderzimmer im Museum in Auerbach.

Im Stadtbild ist kaum noch zu sehen, dass Berlin über Jahrzehnte eine geteilte Stadt war. Wo einst eine gut drei Meter hohe Mauer aus Beton Straßen und Plätze teilte, sind heute neue Viertel entstanden. Wo die Mauer Familien und Arbeitswege teilte, wächst heute eine Generation von Berlinerinnen und Berlinern mit ganz neuen Möglichkeiten heran. Und auch die Berliner Polizei wurde durch die Mauer geteilt. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 sind die Volkspolizei der DDR und die Polizei Westberlins zu einer Polizei zusammengewachsen. Heute ist die Polizei Berlin eine moderne Hauptstadtpolizei, vielfältig und bunt, genauso wie die Stadt.

Das Schicksal der geteilten Stadt Berlin hat auch ihrer Polizei zu einer einzigartigen Historie verholfen. […]

Doch wie die Wiedervereinigung der beiden Polizeien im Kleinen ausgesehen hat, blieb lange Zeit unbeachtet. Dabei stellen sich doch hochspannende Fragen: Was hatten die Polizeikräfte auf beiden Seiten der Mauer erlebt? Hatten sie gar ein- und denselben Vorfall aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen? Wie lebte es sich im Polizeialltag eigentlich mit all den Absurditäten, die die Mauer schuf?

Wie musste man sich das im Alltag vorstellen, wenn sich diese Polizistinnen und Polizisten erstmals trafen? Auf der Wache, im Funkwagen, in den Büros der Sachbearbeitung und der Verwaltung? Und wie hat das Zusammengehen beider Polizeien womöglich das Selbstverständnis unserer Hauptstadtpolizei geprägt?

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Bis 2020 schlummerten die Erlebnisse und Erfahrungen in den Biografien der Polizistinnen und Polizisten. Sicherlich waren sie Gesprächsthema im engeren Kollegenkreis oder in der Familie. Dann hat sich die Berliner Polizeibeamtin Ute Kähler dieser Mikrogeschichte gewidmet und sie für die Öffentlichkeit erschlossen. Neben einem beachtlichen Videoprojekt zur Wiedervereinigung der beiden Berliner Polizeien, das im Internet abrufbar ist, ist nun dieses bewegende Buch mit dem Titel »Auf beiden Seiten – Die Berliner Polizei an der Mauer. Geschichten« entstanden. Es gewährt einen Einblick in den Polizeialltag wenige Jahre vor dem Mauerfall – in Ost und West. Lebendig und von großer Authentizität.

Dienstlich beheimatet auf dem Polizeiabschnitt 15, mitten in Prenzlauer Berg mit Bornholmer Brücke, Mauerpark und Gethsemanekirche, ist die Polizistin und Autorin täglich auf historisch bedeutsamem Terrain unterwegs und arbeitet Seite an Seite mit Kolleginnen und Kollegen, die die Zeit »auf beiden Seiten« der Mauer erlebt haben. Aus ganz persönlichem Interesse hat sie sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung auf Spurensuche begeben. Ebenso wollte sie die Erfahrungen für nachfolgende Polizeigenerationen sichern, bevor die Dienstkräfte von damals in den verdienten Ruhestand gehen oder unerwartet aus dem Leben gehen, so wie unser Kollege Herbert Falk, den Ute Kähler für das Buch interviewte und der 2021 unter tragischen Umständen im Dienst ums Leben kam.

Ute Novakovic ist es gelungen, einen Zugang zu ihren Kollegen zu finden. Sie ist eine von ihnen, dazu mit Ostbiografie (weswegen sie unter ihrem Mädchennamen schreibt), forsch und zutiefst empathisch zugleich. Sie hat einfach losgefragt, zugehört und auf diese Weise Vertrauen gewonnen. So erzählte erst ein Kollege, dann ein weiterer und es wurden immer mehr. In ihren Geschichten sind drei wichtige Dinge zu spüren: Respekt, große Nähe und eine noch größere Sympathie für die Kollegen, ganz gleich, ob noch aktiv im Dienst oder bereits in Pension. […] Vor allem aber wird deutlich, dass es nicht die eine Erzählung von der Polizei zu Mauerzeiten gibt. Erst alle Geschichten zusammen ergeben ein facettenreiches Bild von der damaligen Lebens- und Arbeitswelt unmittelbar an der Staatsgrenze (wie es in der DDR hieß) bzw. der Demarkationslinie (wie man in Berlin-West sagte). […] Die Geschichten sind auch ein Ausdruck der Anerkennung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die sich nach dem Mauerfall im Polizeiberuf völlig umorientieren mussten. Und nicht alle Angehörigen der Volkspolizei wurden in die Polizei Berlin übernommen. Auch hier zeichnen die Geschichten ein differenziertes Bild.

Aus dem Vorwort von Barbara Slowik, Polizeipräsidentin in Berlin, zum Buch von Ute Kähler »Auf beiden Seiten« (Verlag am Park, 160 S., br., 20 €); Lesung und Gespräch mit der Autorin am 25.4., beim »Rendezvous« in der Hellen Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin, 15 Uhr.

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