United Kingdom: Starmer sieht sich in Downing Street 10

Labour-Parteichef fordert nach Sieg bei Kommunalwahlen umgehend Parlamentswahlen

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.
In Siegeslaune: Labour-Chef Keir Starmer (M.) feiert mit seiner Parteigenossin Claire Ward, der neuen Bürgermeisterin der East Midlands, und Anhängern den Sieg bei den Kommunalwahlen.
In Siegeslaune: Labour-Chef Keir Starmer (M.) feiert mit seiner Parteigenossin Claire Ward, der neuen Bürgermeisterin der East Midlands, und Anhängern den Sieg bei den Kommunalwahlen.

Labour-Chef Keir Starmer hat allen Grund, zufrieden zu sein. In allen Regionen, die für einen Sieg Labours bei den kommenden Parlamentswahlen wichtig sein werden, setzte sich Starmers Partei bei den Kommunalwahlen komfortabel durch. Im Parlamentswahlkreis Blackpool South, wo nach dem Rücktritt des dortigen konservativen Abgeordneten eine Nachwahl abgehalten wurde, wanderten 26,3 Prozent der Stimmen von den Tories zu Labour. Der Labour-Kandidat gewann. Labour schnitt beinahe überall dermaßen gut ab, dass Starmer Premier Rishi Sunak in einem Artikel in der Wochenzeitung »Observer« dazu aufrief, umgehend Parlamentswahlen auszurufen: »Tragischerweise ist Großbritannien nun das Opfer einer Zombie-Regierung, die in der Vorhölle feststeckt, mit einem Premierminister, der keine Wahl ausrufen will, weil er befürchtet, sie zu verlieren.« Sunaks Zögern werde »nur noch mehr Schaden, Niedergang und Orientierungslosigkeit verursachen«.

Nur einen wichtigen Sieg konnte sich Sunak auf die Fahnen schreiben: Bei den Wahlen zum Regionalbürgermeister im nordenglischen Tees Valley konnte sich der konservative Amtsinhaber Ben Houchen durchsetzen. Doch es war ein zwiespältiger Sieg: Denn Houchen hatte während des Wahlkampfs auf sämtliche Symbole der konservativen Partei verzichtet. Uneingeweihte Beobachter hätten zu dem Schluss kommen können, dass Houchen parteilos war. Auch bei der Verkündung der Ergebnisse war Houchen der einzige Kandidat, der sich die in Großbritannien eigentlich übliche Parteirosette nicht an die Brust heftete. Später sagte er, er habe das Parteiabzeichen »vergessen«. Doch auch im Tees Valley waren 16,5 Prozent der Stimmen von den Tories zu Labour gewandert.

In der Region West Midlands, zu der auch Birmingham gehört, kam es dagegen zu einer Sensation: Dort verlor der eigentlich sehr populäre konservative Amtsinhaber Andy Street den Posten des Regional-Bürgermeisters nach zwei Amtszeiten an den Labour-Kandidaten Richard Parker. Die Verkündung dieses unerwarteten Ergebnisses unterstrich, dass die Umfragen der vergangenen Monate wohl den Trend richtig erfasst haben. Labour steuert bei den kommenden Parlamentswahlen allem Anschein nach auf einen klaren Sieg zu.

Dennoch zeichnen sich für Starmer bereits einige Wolken am Horizont ab. Das betrifft zum einen die Medienlandschaft, die traditionell in Großbritannien eine Schlagseite in Richtung der Tories hat. Diese Tendenz war in den vergangenen Tagen nicht nur in den überwiegend konservativ ausgerichteten Printmedien zu spüren. Die langjährige Westminster-Korrespondentin der BBC, Laura Kuenssberg, fachte am Freitagabend die fieberhaften Gerüchte über eine mögliche Niederlage Khans in London mit einem unbedarft wirkenden Post auf dem sozialen Netzwerk X an. Kuenssberg werden schon lange Sympathien für die Tories nachgesagt. Da half es auch nicht, dass die Journalistin untröstlich aussah, als sie am Freitagmorgen die ersten Niederlagen für Rishi Sunaks Partei verkünden musste. Und der Nachrichtensender Sky News sorgte mit einer Analyse für Unruhe, derzufolge das Ergebnis der Kommunalwahlen darauf hindeute, dass Labour bei den kommenden Parlamentswahlen keine eigene Mehrheit erreichen würde. Einige konservative Politiker stürzten sich umgehend auf die Analyse und erklärten, dass ihre Partei gerade dabei sei, das Ruder herumzureißen.

Das Problem: Die Analyse wirkte verfrüht und berücksichtigte zahlreiche später veröffentlichte Ergebnisse nicht, die deutliche Wählerbewegungen in Richtung Labour illustrierten. Der Umstand, dass Labour derzeit in Schottland wieder auf dem Vormarsch ist, fand in die Analyse ebensowenig Eingang wie die Erkenntnis, dass sich Wählerinnen und Wähler bei Parlamentswahlen nachweislich taktischer verhalten als auf Kommunalebene.

Die Berichterstattung der vergangenen Tage verdeutlichte, wie rasch sich das mediale Echo verändern könnte, falls Starmer vor den Wahlen ein Fauxpas unterlaufen sollte. Was dem Labour-Chef ebenfalls Kopfschmerzen bereiten könnte: In Wahlkreisen mit einem hohen Anteil an muslimischen Einwohnern sowie in traditionell progressiv eingestellten Vierteln in den Metropolen ging die Unterstützung für Labour zurück. Der Grund dafür dürfte Starmers Zurückhaltung in Sachen Gaza sein.

In den vergangenen Monaten haben sich Starmer und andere führende Labour-Politiker*innen spürbar darum bemüht, die politische Mitte und gesellschaftlich konservative Arbeiter*innen für sich zu gewinnen. Sollte sich an dieser Ausrichtung auch nach einem Sieg bei den Parlamentswahlen nichts ändern, könnte der am weitesten vom Zentrum entfernte Flügel der Partei Starmer das Leben schwer machen. Wozu das führen könnte, kann sich dieser bei Rishi Sunak anschauen: Auch der hat permanent mit dem krawalligen Rand seiner Partei zu kämpfen. Je mehr er versucht, diesen (im Fall der Tories rechten) Flügel mit Zugeständnissen zu befrieden – etwa bei den geplanten Abschiebungen nach Ruanda –, desto mehr lehnt sich das politische Zentrum gegen ihn auf.

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