London: Sadiq Khan vor dritter Amtszeit

London steht besser da, als es die Konservativen behaupten. Davon profitiert der Amtsinhaber

  • Peter Stäüber, London
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer Susan Hall eine Weile zuhört, dem vergeht jede Lust auf London. In öffentlichen Auftritten sowie in Videos auf Twitter und Instagram beschreibt die 63-jährige Tory-Politikerin eine furchteinflößende Stadt, in der Verbrecherbanden ungestraft ihr Unwesen treiben. »Wir fühlen uns auf den Straßen Londons nicht sicher«, sagte sie. Gefahr lauere auch im Rathaus selbst: Die Metropole wird angeblich von einem autoritären Oberbürgermeister regiert, der die unbescholtenen Londoner durch exorbitante Umweltabgaben zur Kasse bitte.

Die Schwarzmalerei hat einen guten Grund: Hall will selbst ins Rathaus ziehen, sie ist die konservative Kandidatin für den Posten, den Sadiq Khan von der Labour-Partei seit acht Jahren besetzt. Am 2. Mai wird gewählt, und Hall zieht alle Register, um den Labour-Jahren ein Ende zu setzen.

Khan führt in Umfragen

Aber es scheint alles nichts zu helfen. Laut Umfragen wird Khan, einer der ersten muslimischen Bürgermeister einer westlichen Großstadt, erneut als Sieger aus der Wahl hervorgehen. In allen Erhebungen der vergangenen Wochen lag der Amtsinhaber deutlich vor seiner Rivalin. Würde Khan erneut triumphieren, wäre er der erste Londoner Oberbürgermeister, der drei Wahlen gewonnen hat.

Was ihm hilft: Das düstere London, von dem Susan Hall in so schrillen Tönen erzählt, gibt es nicht, zumindest nicht in den Augen der meisten Londoner. Zwar hat die Zahl der Diebstähle und Raubüberfälle zuletzt tatsächlich stark zugenommen. Aber dennoch ist die Kriminalitätsrate in London relativ gering, wenn man sie mit anderen Städten vergleicht. Laut Statistik ist das Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, in der Hauptstadt kleiner als im englischen Durchschnitt. Eine länderübergreifende Studie ist letztes Jahr sogar zum Schluss gekommen, dass London eine der sichersten Großstädte weltweit ist.

Londoner zufrieden mit Verkehrspolitik

Auch die Ausweitung der Citymaut für Autos, über die Susan Hall so viel schimpft, löst weit weniger Empörung aus, als es ihre Kampagne suggeriert. Seit letztem Sommer müssen Dreckschleudern im ganzen Stadtgebiet von Greater London eine tägliche Abgabe von 12,50 Pfund entrichten, vorher waren es nur die inneren Stadtbezirke. Hall hält dies für eine »Kriegsansage an Autofahrer.« Aber eine Mehrheit der Londoner, so legen Umfragen nahe, ist recht zufrieden mit der zusätzlichen Abgabe – immerhin soll sie einen entscheidenden Beitrag zu sauberer Stadtluft leisten.

Aber es geht beim Kampf ums Rathaus nicht nur um handfeste politische Programmpunkte. Denn besonders viel Einfluss auf das Leben in der Hauptstadt hat der Amtsinhaber nicht, trotz seines beeindruckenden Titels. Beim Wohnungsbau, dem Polizeibudget oder dem Transport ist der Oberbürgermeister von Geld von der Zentralregierung abhängig. Seine konkrete Aufgabe beschränkt sich vor allem darauf, Strategien auszuarbeiten und Prioritäten zu setzen. Darüber hinaus ist die Rolle weitgehend dekorativ. Es geht darum, für London Werbung zu machen und die Stadt zu repräsentieren.

Khan bleibt Aushängeschild Londons

Und fürs heutige London – EU-freundlich, klimabewusst und ausgesprochen international – scheint Sadiq Khan ein besseres Aushängeschild zu sein als seine Tory-Rivalin. Susan Hall ist eine Brexit-Anhängerin, die sich mehrfach kritisch über Multikulturalismus und Einwanderung geäußert hat. Solche Haltungen stehen im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung in der Metropole, insbesondere in den inneren Stadtbezirken.

Das EU-Referendum von 2016 schockierte die Stadt zutiefst, manche sagten damals sogar den Niedergang Londons voraus. »Das moderne London ist die Metropole, die die Globalisierung geschaffen hat«, schrieb die New York Times 2017 – aber der Brexit gefährde die Rolle der Stadt als internationaler Knotenpunkt. »Wird London fallen?« hieß die damalige Schlagzeile.

Schnelle Erholung von Brexit und Pandemie

Die Antwort aus heutiger Sicht lautet: Nein. Vom Brexit und der Pandemie hat sich die Stadt überraschend schnell erholt. Der Schaden für den Finanzbereich hat sich in Grenzen gehalten, und der boomende Tech-Sektor brummt weiter, wie der Economist kürzlich feststellte. Die Bevölkerung wächst weiter, und sie ist kosmopolitischer als je zuvor: Der Wegzug von EU-Bürgern wurde durch die Ankunft von Menschen aus Übersee mehr als wettgemacht. Nur ein Drittel der 8,8 Millionen Londoner sind weiße Briten, der Großteil der Bevölkerung stammt entweder aus ethnischen Minderheiten oder ist im Ausland geboren.

Herausforderungen gibt es dennoch viele. Vor allem die Wohnungskrise, die sich laufend verschärft. Exorbitante Mieten und ein Mangel an erschwinglichem Wohnraum haben zu einem starken Anstieg der Wohnungslosigkeit geführt. Die Obdachlosigkeit hat im vergangenen Jahrzehnt um 50 Prozent zugenommen. Für viele Einwohner droht London schlichtweg zu teuer zu werden.

Wohnen entscheidendes Thema der Wahl

In den letzten acht Jahren sind zwar erstmals seit langer Zeit wieder Gemeindewohnungen im größeren Stil gebaut worden. Aber insgesamt wird viel weniger Wohnraum geschaffen, als angesichts der akuten Krise erforderlich wäre.

Im Kampf ums Rathaus ist dies denn auch das entscheidende Thema – Favorit Sadiq Khan und seine Rivalin Susan Hall versprechen beide, ein größeres Wohnungsprogramm aufzuziehen. »Die Zukunft Londons sieht düster aus, wenn nicht etwas unternommen wird« gegen die Wohnungskrise, schrieb Peter Apps vom Branchenmagazin »Inside Housing«. Ohne erschwinglichen Wohnraum wird der Londoner Boom irgendwann platzen.

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