Nach Rammstein-Eklat: Berliner Senat setzt auf Selbstregulation

Der Berliner Senat setzt beim Schutz vor sexueller Gewalt auf Konzerten auf Eigenverantwortlichkeit und Selbstregulation

Rammstein-Tour Juli 2023: Ein Fan reagiert auf die Demonstration »Kein Rammstein-Konzert in Berlin!«.
Rammstein-Tour Juli 2023: Ein Fan reagiert auf die Demonstration »Kein Rammstein-Konzert in Berlin!«.

Vor knapp einem Jahr geriet die Berliner Band Rammstein in die Schlagzeilen. Um den Frontmann Till Lindemann sei ein mutmaßliches System aufgebaut worden, das ihm körperlichen Zugang zu Konzertteilnehmerinnen ermöglichen sollte. Mehrere Personen hatten gegenüber Medien erklärt, Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein und von Machtmissbrauch seitens der Kultfigur Lindemann gesprochen.

Wie konnte ein solches System über Jahre bestehen, ohne dass es der Öffentlichkeit bekannt wurde? Über die Band Rammstein hinaus wurde die Frage nach Leerstellen beim Schutz vor sexueller Gewalt und nach der Verantwortung der Kulturwirtschaft laut. Dass auch knapp ein Jahr später der Berliner Senat es nur bedingt für notwendig sieht, tätig zu werden, legt nun eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus nahe.

Aus den Antworten geht hervor, dass der Senat Verbesserungen für Veranstaltungen anstrebt, die durch das Land Berlin oder mit dessen Förderung ausgerichtet werden, darunter Großveranstaltungen wie der Karneval der Kulturen. Gleiches gilt für solche Ereignisse, die auf landeseigenen Flächen stattfinden: etwa dem Olympiastadion, in dem Rammstein keine zwei Monate nach den Vorwürfen drei Konzerte gab.

Doch »im Bereich von Konzerten im privaten Sektor«, könne man »keine Maßnahmen durchsetzen«, antwortet die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kultursenator Joe Chialo (CDU) halte weiterhin an seinem Standpunkt fest. Im Kontext der mutmaßlichen Vorfälle um Rammstein hatte Chialo sich gegen verpflichtende Awareness-Strukturen ausgesprochen. Der »Taz« sagte Chialo noch im Juli 2023: »Wenn Veranstalter erkennen, dass solche Vorfälle dazu führen, dass weniger Menschen zu den Konzerten kommen und die Kritiken schlecht sind, dann werden sie Dinge ändern.«

Bahar Haghanipour, Sprecherin für Frauenpolitik und Gleichstellung der Grünen-Fraktion, hatte den Senat nach politischen Maßnahmen zum Gewaltschutz befragt. »Statt sich ernsthaft mit diskriminierungssensiblem Gewaltschutz auseinanderzusetzen, ruht sich Senator Chialo auf der Eigenverantwortung der Veranstalter*innen aus«, kritisiert Haghanipour.

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Dabei halte der Senat Mittel in seinen Händen: »Konkrete Mindeststandards für den Schutz vulnerabler Gruppen in den Sicherheitskonzepten, Fortbildungsangebote, die Förderung von Awareness-Maßnahmen. Und nicht zuletzt konsequente Kontrollen der Sicherheitsmaßnahmen in den landeseigenen Veranstaltungsorten.« Haghanipour spricht von einem strukturellen Problem aus Diskriminierung, Übergriffen und sexueller Gewalt.

Der Senat merkt jedoch an, dass sich eine Mehrzahl der Veranstaltenden der Thematik angenommen und entsprechende Konzepte entwickelt habe. »So sind Awareness-Teams und Safe Spaces gängige Maßnahmen bei den meisten Veranstaltenden im Rahmen der jeweiligen Sicherheitskonzepte.« Mit Blick auf die Erstellung dieser Konzepte schätzt der Senat die Eigenverantwortlichkeit der Kulturbetriebe als angemessen ein.

In Folge der Berichterstattung gingen einige Wirtschaftspartner auf Distanz zur Rammstein GbR. Ein Strafverfahren gegen Lindemann wurde im August 2023 eingestellt, da keine der Personen, die sich zuvor gegenüber Journalist*innen geäußert hatten, gegenüber der Staatsanwalt aussagten.

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