Andrang in Notübernachtung

Bei widrigem Wetter suchen mehr Menschen eine Bleibe als normalerweise

  • Lesedauer: 2 Min.

(dpa). Bei Schnee und schneidender Kälte suchen immer mehr obdachlose Menschen Zuflucht in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission. »In der vergangenen Nacht war es sehr voll. Wir hatten 163 Gäste«, sagte Sprecherin Ortrud Wohlwend am Montag. Im Vergleich zum vergangenen Winter kommen 10 bis 20 Prozent mehr Hilfesuchende in das Stadtmissions-Zentrum in der Lehrter Straße nahe dem Hauptbahnhof, oft bis zu 150 Menschen pro Nacht. Unter den Obdachlosen seien viele Polen und Osteuropäer, die in ihrer Heimat bei Kälte kaum Hilfsangebote finden. Auch immer mehr Frauen leben in Berlin inzwischen auf der Straße, ergänzte Wohlwend. Das Frauen-Schlafzimmer sei oft gut belegt.

Bei der Kälte kommen viele Obdachlose nicht allein zum warmen Abendessen und zur Notübernachtung in die Lehrter Straße. Viele sind auch krank. »Zur Zeit behandeln unsere Ärzte vor allem Unterkühlungen und beginnende Lungenentzündungen«, berichtete die Sprecherin. Wer zu schwach ist, um die Unterkunft nach dem Frühstück wieder zu verlassen, bekommt als Notfall ein Bett im Übergangshaus. »Dieses Haus ist zur Zeit zum Platzen voll«, sagte Wohlwend.

Die Verelendung ist insbesondere unter Obdachlosen aus Polen groß. Ein Grund dafür sei das polnische Scheidungsrecht, erläuterte Wohlwend. Nach einer Scheidung müssen Männer die gemeinsame Wohnung sofort verlassen. Da die Mieten hoch seien, finden viele lange keine neue Bleibe. Ein hoher Prozentsatz der Geschiedenen lande deshalb schnell auf der Straße – insbesondere, wenn zusätzlich Alkohol im Spiel sei. Unter den ausländischen Gästen der Stadtmission waren bisher auch viele Weißrussen, Rumänen und Bulgaren.

Bei Nächten unter minus drei Grad bleiben in Berlin die U-Bahnhöfe Schillingstraße (U 5), Südstern (U 7) und Hansaplatz (U 9) geöffnet. In der vergangenen Nacht suchten dort aber nur drei Menschen Schutz, sagte BVG-Sprecherin Petra Reetz. »Für uns ist das ein gutes Zeichen«, ergänzte sie. »Das zeigt, dass es bessere Übernachtungsmöglichkeiten gibt.«

Der Kältebus der Stadtmission fuhr Menschen ohne Wohnung in eiskalten Nächten sogar bis 5 Uhr früh in warme Quartiere. Trotz des Schnees campieren Obdachlose nachts aber auch weiterhin draußen. »Bei trockener Kälte ist das mit einem guten Schlafsack kein Problem«, sagte Wohlwend. Ein Quartier finden Menschen ohne Wohnung auch in Vorhallen von Banken. Oft lassen Kunden, die nachts zum Geldautomaten gehen, Obdachlose ins Warme.

In Berlin ist die Kältehilfe gut organisiert. Rund 70 Einrichtungen bieten ihre Dienste an. Das reicht von der Notübernachtung über Tagestreffs und Nachtcafés bis hin zu Obdachlosen-Arztpraxen. Kältetote sind in der Hauptstadt deshalb sehr selten.

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