Inszenierung von Personen statt prägende Themen

Warum Merkel wieder Kanzlerin wird und warum der Wahlkampf 2013 so wenig mit den Alltagssorgen der Menschen zu tun hat: eine kurze Bilanz

  • Horst Kahrs
  • Lesedauer: 5 Min.

Wahlkämpfe können auf sehr unterschiedliche Art geführt werden. Es ist möglich, hochpolitische Wahlkämpfe zu führen, in denen die Bürger_innen und Bürger gefordert sind, politische Richtungsentscheidungen zu treffen. In den Wahlkämpfen 1969, 1972, 1983 und auch noch im 1990er Wahlkampf hatten die Parteien bzw. Bündnisse zugespitzte politische Fragestellungen zu bieten, die ihre Inszenierungen im Wahlkampf prägten. In anderen Wahlkämpfen der jüngeren Zeit waren Wahlkampfthemen in den Parteiinszenierungen zwar präsent, aber nicht dominant. Dieser Wahlkampf kommt komplett ohne wirklich prägende Themen aus.

Was mehrheitlich das Alltagsbewusstsein umtreibt, wird von den Parteien nicht aufgegriffen. Wie geht es weiter mit der Eurokrise? Welche Rolle soll die deutsche Regierung in Europa spielen? Wie lässt sich die Energiewende sozial gerecht gestalten? Wie geht es mit dem Bildungssystem weiter, haben unsere Kinder eine bessere Zukunft zu erwarten? Was wäre zu tun gegen die sich vertiefende und verfestigende soziale Spaltung, gegen die Rückkehr alltäglicher Gewalt in die sozialen Beziehungen, gegen wachsende Abstiegsängste und Unsicherheitsgefühle, ja, wie wäre dem Verlust demokratischer Tugenden, Kenntnisse und Fähigkeiten entgegenzuwirken?

Alles Fragen, die in der einen oder anderen Weise Alltagsgespräche und Lebenswelten prägen. Alles Fragen, die am verbreiteten Unbehagen in der Bevölkerung anknüpfen würden, wonach die Zukunft nichts Besseres bringt und man von Glück sagen kann, dass es nicht schlechter wird.

Die allgemeine und persönliche wirtschaftliche Lage wird weit überwiegend positiv eingeschätzt. Deutschland kommt gut durch die Krise, aber sie ist noch lange nicht vorbei. Die wirklich großen Probleme bestehen in anderen Ländern. Aber niemand kann sich sicher sein, dass es so bleibt. Vor dieser Grundstimmung haben es wahlkämpferische Zuspitzungen zugegeben schwer.

Einerseits ist das Gefühl verbreitet, dass es nicht gut läuft im Land, mit der wachsenden Kluft zwischen arm und reich, dem Zustand der Schulen, Straßen und Brücken. Andererseits erscheint jede Veränderung angesichts der undurchschaubar gewordenen komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge äußerst riskant. Eigentlich, so könnte man dieses Stimmungsbild zuspitzen, brauchen wir keine Politik, sondern eine gute Verwaltung der obwaltenden Verhältnisse.

Den Inszenierungen der Parteien gelingt es nicht, das letztlich apolitische Stimmungsbild zu durchbrechen, ein Bild, in dem es keine Alternative gibt. Keine Alternative zur – nicht nur ökonomischen - Macht des vermeintlichen neuen historischen Subjekts »die globalen (Finanz-)Märkte«, keine Alternative zur staatlichen Macht etwa der globalen Überwachungs-Eliten aus Geheimdiensten und Internetkonzernen. Der demokratische Staat schafft es nicht, seinen Souverän, das Volk, vor der wirtschaftlichen Macht und der globalen Überwachungsmacht anderer Staaten und Konzerne zu schützen.

Die Abwesenheit von wichtigen Themen im diesjährigen Wahlkampf hat aber natürlich auch etwas mit der »Großen Einigkeit« der großen Parteien zu tun. Die deutsche Strategie in der Eurokrise, die »Neue Internationale« der Geheimdienste nach dem 11. September, die massive Subvention der Energiewende-Investitionen des Kapitals durch die Lohn-, Gehalts- und Transfereinkommen der Stromverbraucher – immer liegen CDU, SPD und Grüne dicht beieinander, und schaffen Mehrheiten gegen abweichlerische Minderheiten in den eigenen Reihen. Wo grundlegende Richtungsfragen in der Sache nicht zu haben sind, verkürzt sich der Wahlkampf dann auf die Inszenierung von Personen und Konstellationen und eine kurz »heiße Phase« von zwei bis drei Wochen.

Weil der Wahlkampf wenig von Themen und tatsächlichen politischen Polarisierungen geprägt war, ist scheinbar paradoxer Weise der Ausgang erstaunlich offen. Die amtierende Koalition hat keine sichere Umfrage-Mehrheit, die von der SPD angebotene rot-grüne Alternative ist meilenweit von einer eigenen Mehrheit. Eine Wechselstimmung ist nicht entstanden.

Die Mehrheit der befragten Wahlbürger will »Merkel III.«, aber keine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition. Die Mehrheit bevorzugt eine Koalition aus SPD und CDU, was für das Wissen der Wähler_innen um die politische Nähe beider Parteien, aber auch für ein tiefsitzendes Unsicherheitsgefühl bezüglich dessen, »was auf uns noch zukommt«, spricht. Im Windschatten einer solchen Mehrheitsstimmung ist vieles möglich. Die »Rettet uns«-Kampagne der FDP kann, unter den Bedingungen des neuen Wahlrechts, gelingen oder scheitern. Die »Alternative für Deutschland« könnte es, als eurokritische Stimme des marktwirtschaftlich gesonnenen Bürgertums, mit Hilfe von rechten Protest-Stimmen schaffen.

Wie die Regierungsmannschaft zusammengesetzt ist, ist also durchaus offen. Sicher aber dürfte sein, dass die Union wieder die stärkste Fraktion im Bundestag stellen, dass der stärksten Fraktion die Kanzlerschaft zufallen und dass daher Angela Merkel Kanzlerin bleiben wird, weil es in der Union keine Alternative zu ihr gibt.

Die Stärke von Angela Merkel und der Union ist zugleich der politischen Unfähigkeit der Opposition geschuldet. Es ist politische Oppositions-Verweigerung, wenn es die stärkste Fraktion der Opposition verabsäumt, eine glaubwürdige Alternative zur Ablösung der Regierung zu formieren, wie es eben ihre Aufgabe in einer parlamentarischen Demokratie wäre.

Die SPD hat dies erkennbar nicht vermocht und sich trotzig dem Glauben hingegeben, dass die Ergebnisse von Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen im Bund wiederholbar wären. Es blieb der Union und der FDP überlassen, die Gefahr eines »Linkskartells« aus SPD, Grünen und Linkspartei im Wahlkampf zu platzieren und einen recht einseitigen Lagerwahlkampf zu simulieren.


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Vorwahlbericht von Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am Wahlabend wird es von ihm eine aktuelle Kurzanalyse des Ergebnisses geben, die bereits bekannte Langfassung des Wahlnachtberichts steht ab Montag zur Verfügung. Weitere Infos zur Wahl stellt die Rosa-Luxemburg-Stiftung hier zur Verfügung.

Am Mittwochabend diskutieren in Berlin Journalistinnen und Journalisten über die Frage: »Wie steht die Linke nach der Bundestagswahl da?« Mit dabei sind Andrea Dernbach vom »Tagesspiegel«, Katrin Rönicke, die auf FAZ.net im Blog »Wostkinder« mitschreibt, Stefan Reinecke von der »Tageszeitung« und nd-Chefredakteur Tom Strohschneider.

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