Für einen Populismus der Vernunft

Wie die Linke mit Blick auf Europa die Demokratie und den Sozialstaat gegen die Abrissbirne neoliberaler Eliten verteidigen sollte

  • Alban Werner
  • Lesedauer: 5 Min.

Sebastian Reinfeldt findet in diesem Debattenbeitrag, das politische Ziel der LINKE sollte darin bestehen, die »Konstruktion eines «nationalen» Interesses anzugreifen, in dem sich alle, inklusive der AfD, einig sind, statt es auch noch von links durch eine links-nationalistische Europa-Kritik zu bestätigen«. Der Euro steht aus seiner Sicht »für das politische Projekt der EU insgesamt, in der verschiedene Nationen, die unter einem Dach zusammen leben, sich wechselseitig bedingen und aufeinander verweisen. Diese europäische «Semiosis» möchte die AfD unterbinden, und deshalb soll das Euro-Zeichen auch ausgetilgt werden, im Namen einer europaweiten Re-Nationalisierung«.

Wahrscheinlich habe nicht nur ich nicht verstanden, was der Autor eigentlich meint. Sicher bin ich mir aber darin, dass eine Entgegensetzung nach dem Schema »hier: die fortschrittlichen kosmopolitischen Pro-EuropäerInnen« und »dort: die europaskeptischen Hüter des Nationalstaates« am Problem vorbeigeht. Fragen wir ganz nüchtern: Worum geht es bei der anstehenden »Europawahl« am 25. Mai 2014, und wie sollte sich DIE LINKE gegenüber der AfD und gegenüber der real existierenden EU verhalten?

Horst Kahrs von der Rosa Luxemburg-Stiftung hat in seinen Schlussfolgerungen zur Bundestagswahl meines Erachtens zutreffend festgestellt, dass Angela Merkel in der Europapolitik nach Wunsch schalten und walten kann, weil sich ihre Deutung der Krise bisher erfolgreich durchgesetzt hat - Merkels Ideologie ist wirksam, weil sie die Massen ergreift. Eine Veränderung, so Kahrs weiter, sollte nicht an der Frage »ja oder nein zu Europa« ansetzen, sondern bei politischen Auseinandersetzungen, die nicht an der Nationengrenze halt machen.

Überhaupt sollten sich Linke nicht von den Bürgerlichen und Neoliberalen diktieren lassen, nach welchen Kriterien und schönen Erzählungen sie über »Europa« sprechen. Sollen Konservative und Liberale ruhig Adenauer und de Gaulle anhimmeln. Mein positives Bild von Europa beginnt bei den zig tausenden demokratischen InternationalistInnen, die in den 1930er Jahren in Spanien ihr Leben riskierten und opferten beim Versuch, die Republik gegen den rechten Militärputsch Francos zu verteidigen. Ihre radikale Solidarität hat wenig gemein mit einer real existierenden EU, die mal scheibchenweise, mal mit dem Holzhammer die demokratischen und sozialstaatlichen Errungenschaften der Nachkriegszeit zerstört.

Mal provokativ gefragt: Bin ich »Anti-Europäer«, wenn ich für gesetzliche Regulierung öffentlicher Auftragsvergabe mit strikten sozialen, ökologischen und geschlechterpolitischen Kriterien eintrete- wohlwissend, dass damit die meisten osteuropäischen Unternehmen von vornherein aus dem Bewerberfeld »herausgepreist« werden? Oder bin ich »pro-europäisch«, weil ich vor allem verhindern will, dass ohne diese Regulierungen ein Absenkungswettlauf in Gang kommt, an dessen Ende auch die entsandten Beschäftigten aus Osteuropa unter unerbittlicher Lohndrückerei zu leiden hätten?

Bin ich »anti-europäisch«, wenn ich wie Sahra Wagenknecht der Meinung bin, dass Deutschland auf keinen Fall im großen Stil gut qualifizierte junge Menschen aus Spanien, Griechenland, Portugal und Italien nach Deutschland locken sollte? Oder bin ich doch »pro-europäisch«, weil ich nicht möchte, dass den oben genannten Ländern eine Rückkehr zu wirtschaftlichem Wohlstand noch schwieriger gemacht wird, weil sie am Ende Fachkräfte für Deutschland gratis ausgebildet hätten, während ihnen selber qualifizierte Beschäftigte fehlen werden?

Bin ich »nicht ganz bei Verstand« (O-Ton eines Kollegen), wenn ich fordere, dass der Europäische Rat oder eine EU-weite Volksabstimmung jeweils mit sog. doppelter Mehrheit die Kompetenz haben sollte, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) außer Kraft zu setzen? Oder ist das nicht eine ganz rationale und pro-europäische Reaktion meinerseits darauf, dass der EUGH sogar gegen den Wortlaut der EU-Verträge und gegen jeden gesunden Menschenverstand sich herausgenommen hat, das Streikrecht in Finnland und Schweden zugunsten der Unternehmen zurechtzustutzen oder Möglichkeiten der Kapitalbesteuerung immer stärker einzuschränken? DIE LINKE sollte sich von der AfD darin unterscheiden, dass sie sich diesen Problemen stellt. Mit dem Neoliberalismus als DNA der EU-Verträge kann die AfD dagegen nämlich ganz prima leben.

DIE LINKE könnte nur verlieren und sie würde auch zu Recht verlieren, wenn sie den Wahlkampf um das Europäische Parlament in erster Linie dazu nutzte, mit inhaltsleeren Bekenntnissen »für Europa« zu werben. Denn erstens ist, wie oben angedeutet, die real existierende EU nicht dasselbe wie »Europa« und sie ist keineswegs eine Einrichtung, der sich Linke verschreiben sollten, solange sie darin keinen demokratischen und sozialen Neustart durchsetzen können. Zweitens wäre ein EU-Jubel-Wahlkampf gar nicht sachgerecht. Das Europäische Parlament hat nämlich auch im aktuell geltenden Lissabon-Vertrag nach wie vor kein Initiativrecht für die EU-Gesetzgebung. Es kann die Tagesordnung der EU-Politik nicht selbst bestimmen, sondern seinen Einfluss nur als Veto-Macht geltend machen – indem es also droht, »nein« zu sagen.

Deswegen ist es nicht nur inhaltlich überzeugender, sondern sogar strategisch vernünftig, im Hinblick auf die EU einen Populismus von links zu betreiben, der Demokratie und Sozialstaat gegen die Abrissbirne neoliberaler Eliten verteidigt – ob sie jetzt Merkel, Barroso oder Bolkestein heißen. Denn – so viel Diskurswissenschaft muss sein – Populismus kommt nicht vom deutschen Volksbegriff der »Volks-« oder »Schicksalsgemeinschaft«. Es stammt wie »peuple« (frz.), »pueblo« (span.) oder »popolo« (ital.) vom lateinischen »populus« ab und und zielt auf »die einfache Bevölkerung«.

Es geht tatsächlich um die Interessen der Mehrheit. Im Gegensatz zu dieser Mehrheit stehen für eine linke populäre Politik nicht andere Länder oder ethnische Minderheiten, sondern wirtschaftliche und politische Herrschaftseliten in allen Ländern einschließlich Deutschlands. Möchte angesichts von Troika, Goldman Sachs und Technokraten-Regierungen in Griechenland und Italien noch ernsthaft irgendwer bestreiten, dass es diese Eliten gibt? Dagegen sollte DIE LINKE die Herzen und Köpfe der Mehrheit gewinnen wollen. Avanti popolo!

Alban Werner, Jahrgang 1982, war 1999 bis 2004 Mitglied der Jusos und der SPD und ist seit 2005 in der Linkspartei engagiert. Er ist Mitglied im BundessprecherInnenrat der Parteiströmung Sozialistische Linke. Werner ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Das Argument« und promoviert derzeit zum Thema »Strukturwandel der politischen Opposition«.

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