In dem Alter noch studieren

Man braucht noch nicht einmal Superlative. Dieser Sonntagabendkrimi ist groß. Matthias Dell über den Rostocker Polizeiruf »Familiensache«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum ARD-Sonntagabendkrimi gehört eine gewisse Unzuverlässigkeit. Anders als bei einer Serie ist das Niveau schwer kalkulierbar. Der Nachteil: Es gibt solche Folgen wie Lena Ödenthal letzte Woche, wo eine fade Geschichte in ihren Umrissen aufgemalt wird. Der Vorteil: Es gibt solche Folgen wie »Familiensache« aus Rostock, die das Gegenteil davon ist – ein spannender Kriminalfilm (NDR-Redaktion: Daniela Mussgiller).

Oder auch: die beste Folge des in der Anmutung immer noch jungen recht jungen Schauplatzes in Rostock. Man braucht noch nicht einmal Superlative. Groß ist der »Polizeiruf« von Eoin Moore (Buch und Regie), weil er funktioniert. Es wurden sich Gedanken gemacht, die man sehr genau wiedererkennen kann, und mit einem Mal macht alles Sinn.

So ist die Geschichte von Arne Kreuz (die paradigmatische Rolle, nie besser getroffen: Andreas Schmidt) als Täterrätselraterei radikal unspannend, weil die Zuschauerin mit ansieht, wie der Underarchiever gegen sein misslingendes Leben Sturm läuft und die Familie, die von ihm getrennt lebt (auch toll: Laura Tonke als Frau in der Emanzipation), im Tod wiedervereinen will. Dafür thrillt der Wettlauf zwischen der Polizei und dem Mann mit dem grausigen Plan wie sonst kaum was auf dem Sendeplatz – eben weil die Zuschauerin mehr weiß, als die Figuren, die Andreas Schmidts marionettenhaft mit seinen Gliedern schlenkerndem Zombie-Schlaks begegnen (die Großeltern: Gitte Schweighöfer, Wolf-Dietrich Sprenger); eben weil die Polizei hier gezwungen ist, schnell zu arbeiten, den Fall live zu lösen, um den Rest des großen Selbstabschaffens aufzuhalten.

Was am Ende, ganz nebenbei, ethische, philosophische Frage aufwirft: Wie soll der Junge weiterleben, wie der gerettete Kreuz? Und die Tatsache, dass in der Folge die ewige Männergewaltgeschichte solche konkreten Gestalten annimmt wie den Schlenkerkörper von Andreas Schmidt und den zarten Selbstbestimmungswillen von Laura Tonke sorgt tatsächlich für so etwas wie Gegenwart und Plausibilität im Film.

Eine Szene, wie das drängende Vorortbefragen der Kreuz-Schwester Miriam (Friederike Wagner) – sonst lauer Standard, der auf schöne Bilder zielt – ist hier motiviert durch den Druck, unter dem die Ermittlung steht. Und ausgerechnet Miriam, die als einzige helfen kann, bricht zusammen, wird gebeutelt von Trauer und Entsetzen, dass es eine Schau ist.

Ein anderes schönes Detail der Erzählung ist die erhöhte Präsenz von Chief Röder (der große Uwe Preuss), der Dienstjubiläum feiert in seinem kumpelhaft-zupackenden, kommunikativ leicht untertourigem Berlinerisch (»Ick meine, wir halten schon ganz gut zusammen, Freunde«) und der dann als Bündler der Großinvestigation immer wieder auftaucht. Chief Röder ist der einzige Vorgesetzte in einem ARD-Sonntagabendkrimi, dessen Rolle sich nicht darauf beschränkt, die Unangepasstheit der Hauptfiguren in gutem Licht erscheinen zu lassen.

Highlight von »Familiensache« ist aber die vorläufige Auflösung der Entliebungs-und-Fremdgeh-Händel um Bukoff (Charly Hübner), Vivienne (Fanny Staffa) und Darling Everybody's Volker (Josef Heynert). Privatgeschichten der Ermittler nerven eigentlich immer und besonders dann, wenn sie in der jeweiligen Farbe des Falles für einmal auf die Bühne gezerrt werden. Auch das ist hier, wo seriell doch ein wenig komplexer erzählt wird, anders, eben weil die Betrugsgeschichte (Bukoff entfremdet sich von Vivienne, die fängt mit Thiesler, der sich um sie »kümmern« soll, was an) lange vorbereitet ist.

So kann sie am Hinterrad eines Klassikers der Verwechslungskomödie (da können die Freunde des Sprechtheaters weiter zurückgehen, um Referenzen zu finden) in den Schlussspurt hineingefahren wird: Jeder redet von etwas anderem und scheint doch das gleiche zu meinen, bis das Aussprechen des Volker-Vivienne-Verhältnisses auf der schönen Pointe endet, dass ausgerechnet der ewig überambitionierte Pöschi (wieder einmal ganz weit vorn in der sympathischen Darstellung von nicht immer sympathischem Tun: Andreas Günther), der das Geheimnis angelüftet hat, am Ende dasteht wie Averell Dalton (der größte der vier Brüder aus »Lucky Luke«, der notorisch nichts checkt) und staunt: »Ach, Vivienne auch noch!«

Wann immer von möglichen ernsthaften deutschen Serien im Sinne der ernsthaften amerikanische Serie gesprochen wird – die zehn Folgen des Rostocker »Polizeiruf« (den Eoin Moore ja entworfen hat), auf die man nach »Familiensache« zurückschauen kann, wirken wie eine Skizze für ein solches Projekt. Mit ein wenig mehr Stringenz, ein paar zusätzlichen Strängen und Bögen und entkoppelt vom Sonntagabend dürfte einer solche Format keine schlechte Figur machen.

Ein Geschenk, das man sich für 40. Geburtstage merken kann:
»Vegetarischer Kochkurs mit Jeannette«

Ein Versprechen, das man immer gebrauchen kann:
»Das wird alles anders.«

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