Es geht ums neoliberale Prinzip

Tom Strohschneider über das Scheitern des Eurogruppen-Treffens, Risse im EU-Gebälk und die Interessen Deutschlands

  • Lesedauer: 3 Min.

Zugegeben: Es ist in diesen Tagen nicht ganz einfach, den Überblick über den Konflikt zwischen der SYRIZA-geführten Regierung und den europäischen Gläubigern zu behalten. Das hat etwas mit der Materie zu tun, mit technischen Vertragsfragen und der großen politischen Bedeutung auch nur kleinster Unterschiede in den Formulierungen. Und nicht zuletzt hängt es damit zusammen, dass meist von einem unwilligen Schuldner die Rede ist, der die Gutwilligkeit des europäischen »Wir« auszunutzen trachtet. »Griechenland lässt schon wieder Schuldenverhandlungen platzen«, meldete da etwa eine Nachrichtenagentur. Alles klar?

Eben nicht. Bei näherem Hinsehen sieht die Sache schon ganz anders aus. Was ist da passiert beim Treffen der Eurogruppe? Ein für die griechische Seite annehmbarer Vorschlag aus dem Kreis der EU-Kommission, so heißt es inzwischen aus mehreren Quellen, wurde in letzter Minute vom Chef der Eurogruppe kassiert und durch ein Papier ersetzt, dem SYRIZA nicht zustimmen konnte. Übrigens: Es geht bei alledem nicht nur um Glaubwürdigkeit und Wahlversprechen, sondern um das Leben von Abertausenden Griechen, um die Zukunft eines Landes.

Diese aber scheint jenen Kräften in der Europäischen »Gemeinschaft« nicht so wichtig, die am Platzen der Gespräche in Brüssel mindestens ebenso viel Anteil hatten – wenn nicht sogar den entscheidenden. Wer hat ein Interesse, die Griechen »über den Abgrund zu schieben«, wie es Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugmann formulierte? Worum geht es im Hintergrund?

Der Konflikt um Griechenland und die Kürzungsauflagen sowie Deregulierungsbedingungen der Gläubiger ist einer um das neoliberale Prinzip. Im Kern geht es nicht um Summen oder Fristen für die Rückzahlung von Krediten, sondern um die Legitimation einer Politik, die Glauben machen will, dass Sozialabbau, Privatisierung und weniger Rechte für Beschäftigte ein Wachstum im Interesse aller befördern könnten.

Griechenland ist ein darbendes Beispiel für das Scheitern dieser Idee. Sie dennoch zu verteidigen, immer wieder durchzusetzen, sie ideologisch einzuhegen – das ist das Ziel unter anderem der Bundesregierung, die ihre Austeritätspolitik per politischer Kraftmeierei innerhalb der EU zum Exportschlager gemacht hat. Jetzt meldet erstmals ein Land hartnäckigen Widerspruch zur Bankenrettung durch Sozialisierung der Krisenkosten, zu Kürzungsdiktat und zum Regime der Umverteilung von Öffentlich zu Privat an - und bekommt sogleich die Instrumente zu spüren.

Man darf gespannt sein, ob sich die Berliner Betonposition durchsetzt, die derzeit auch das »finanztechnische Europa« dominiert, also die Eurogruppe. Oder ob sich das »politische Europa« durchsetzt, repräsentiert durch eine Kommission, die Kompromissbereitschaft an den Tag legt, weil sie weiß, dass es um mehr geht als um das Geld von Gläubigern – zum Beispiel um die europäische Idee. Die wird zwar auch von der Bundesregierung gern hochgehalten, der Umgang mit den Interessen Griechenlands aber lässt vermuten, dass Berlin zur Not (der anderen) und im eigenen Interesse auch andere Wege gehen würde.

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