Ein bisschen Hass ist ganz normal

Folge 79 der nd-Serie »Ostkurve«: Paul Schinke über seinen Wechsel von RB Leipzig zu Lok

  • Lesedauer: 7 Min.

Paul Schinke (v.) verließ den 1. FC Lokomotive Leipzig als 14-Jähriger, um Fußballprofi zu werden. Nach zuletzt fünf Jahren bei RB Leipzig ist der offensive Mittelfeldspieler im Sommer als Erster vom Stadtrivalen zurück zu Lok gekehrt. Mit dem 24-Jährigen sprach Ullrich Kroemer über verpasste Chancen im Profifußball, seine Bedenken vor dem Wechsel, einen Angriff von Fans auf seine Eltern, den Charme von Lok und das Klima bei RB sowie die Ziele mit seinem neuen Verein, der gerade Tabellenführer der Oberliga ist.

Sie haben vor dem Wechsel von RB Leipzig zurück zu Lok Leipzig auch Bedenken geäußert. Wie ist Ihre Rückkehr verlaufen?
Viel verändert hat sich hier bei Lok im Vergleich zu meiner Jugend nicht. Alles hat noch den gleichen Charme wie vor zehn Jahren, als ich hier weggegangen bin. Aber vielleicht fühle ich mich auch genau deswegen absolut wohl hier. In Bezug auf die Rivalität zwischen Lok und RB ist es recht entspannt. Dass einige Sprüche kommen, damit hatte ich gerechnet. Aber das belastet mich nicht. Der Großteil der Fans hat mich gut aufgenommen - darüber bin ich auch froh. Mit dem Trainerteam und mit der Mannschaft passt es sowieso.

Welche Reaktionen gab es seitens der Mannschaft oder der Fans?
Aus der Mannschaft kamen gar keine dummen Sprüche. Aber da würde ich mich auch wehren. Von den Rängen kam schon mal eine Beleidigung wie »Scheiß RB-Schwein«. Aber da stehe ich drüber. Zu 99 Prozent wurde ich positiv empfangen. Viele Leute haben auch gesagt: »Schön, dass Du wieder da bist.«

Sie hatten auch Bedenken, zurückzukommen, weil Ihre Eltern 2012 angegriffen wurden.
Damals habe mit der ersten Mannschaft von RB gegen Lok gespielt, mein erstes Derby. Danach hat mich meine Mutter angerufen. Sie hat erzählt, dass meine Eltern von irgendwelchen Vollidioten attackiert wurden, weil mein Vater ein RB-Trikot mit meinem Namen getragen hatte. Das war schon eine extreme Situation. Danach habe ich immer gesagt, dass ich aufgrund dieser Vorkommnisse nie wieder auch nur mit dem Gedanken spiele, zu Lok zurückzukommen. Aber die Leute hier geben alles für den Verein, Heiko Scholz hat sich extrem um mich bemüht. Da sollte man seine Entscheidung nicht von Chaoten beeinflussen lassen. Letztlich will ich hier kein Fanliebling sein, sondern Fußball spielen, meine Leistung bringen, mit dem Verein Erfolg haben.

Haben Sie verfolgt, wie ihr Ex-RB-Kollege Fabian Bredlow bei seiner Ankunft beim Halleschen FC beschimpft wurde?
Ich habe das gelesen. Auch mein Ex-Teamkollege Maximilian Watzka war ja beim Probetraining in Halle angefeindet worden. Ich hatte 2013 ebenfalls ein Angebot vom HFC, doch die Verantwortlichen sind dann aufgrund möglicher Anfeindungen durch die Fans zurückgerudert. Das fand ich bezeichnend. Halle wäre für mich ideal gewesen. Das hatte sich dadurch zerschlagen. Aber ich bin da nicht nachtragend. Die Fans haben ein Recht auf ihre Meinung, wie der Verein dann damit umgeht, ist eine andere Sache. Glücklicherweise ist mir hier bei Lok so etwas nicht passiert.

Ist das Verhältnis zwischen Lok und RB normaler geworden, weil beide Klubs in unterschiedlichen Sphären unterwegs sind?
Die Vereine haben kein Problem miteinander. Alle wissen, dass Lok mit Sicherheit auch vom RB-Nachwuchs profitieren wird. Wir als Spieler sehen das eh entspannt. Ich habe schon mit früheren Kollegen aus der zweiten Mannschaft von RB gesprochen, ob sie sich nicht auch vorstellen können, zu Lok zu kommen. Einzig für die Fans ist das schwierig. Da spielt sicher auch Neid eine Rolle, ein bisschen Hass ist ganz normal. Aber vielleicht trägt mein Wechsel auch dazu bei, das Verhältnis weiter zu normalisieren.

Wie groß ist der Unterschied zwischen RB und Lok was das Klima in den Klubs angeht?
Hier bei Lok ist alles familiärer, mit dem Trainer oder Teammanager René Gruschka (Im Hintergrund ist das schallende Lachen von Trainer Heiko Scholz zu hören, der mit seinem Betreuerstab herumflachst.). Diese intensiven Kontakte gab es bei RB einfach nicht. Ich bin ein Familienmensch, habe meine Familie gern um mich herum. Da kommt mir das hier bei Lok doch eher entgegen. Bei RB habe ich nie die volle Unterstützung gespürt, da hat keiner gesagt: »Wir bauen auf dich.« Ich bin ein Spieler, der das Gefühl braucht, gebraucht zu werden. Bei RB war man eben einer unter vielen. Aber ich will die Zeit nicht missen.

Sie sind mit RasenBallsport II in die Regionalliga aufgestiegen, spielen mit Lok nun wieder Oberliga. Weshalb sind Sie eigentlich gewechselt?
Es hätte mich schon gereizt, mit der jungen Mannschaft von RB in der Regionalliga zu spielen. Aber mein Vertrag lief aus, und einen Monat vor Saisonende hieß es dann: »Wir wollen dir keine Steine in den Weg legen.« Ich habe fünf Jahre in dem Verein gespielt, habe nicht den Anspruch Nummer 20 im Kader zu sein. Dieses Selbstvertrauen und den Anspruch habe ich an mich. Da hätte ich mir eine klarere Ansage vom Verein gewünscht, dass nicht mehr mit mir geplant wird. Natürlich hätte ich mit Lok auch gern jetzt schon in der Regionalliga gespielt, aber das wollen wir dann nächste Saison schaffen.

Wie haben Sie die fünf Jahre bei RasenBallsport Leipzig generell empfunden?
Es ging immer hoch und runter bei mir. Ich war in Cottbus auf dem Sprung in die erste Mannschaft, habe mir aber den Knöchel gebrochen. Die RB-Verantwortlichen haben mich im Krankenhaus besucht, wollten mich trotz der Verletzung. Damals dachte ich noch, dass ich mit dem Verein in die Bundesliga aufsteige. Rückwirkend war das vermessen, von der Regionalliga bis in die Bundesliga mitzumarschieren. Es gab Jahre, in denen es gut lief, zum Beispiel unter Tomas Oral. Peter Pacult ließ mich nicht gehen, weil er mich als U 23-Spieler für die Bank brauchte. Unter Alexander Zorniger lief es anfangs gut für mich. Aber weil ich ein Spieler bin, der hinterfragt und nicht immer das macht, was der Trainer sagt, sind wir angeeckt.

Ist es bei RB nicht gewünscht, das Spieler ihren eigenen Kopf haben?
Das sehe ich im Rückblick so. Man muss das umsetzen, was der Verein und Herr Rangnick wollen. Das ist auch okay, sie haben damit Erfolg. Aber ich wollte immer Fußball spielen. Irgendwann konnte ich das Wort Gegenpressing nicht mehr hören. Diese Spielweise ist gut, aber man muss eben auch mit dem Ball umgehen können. Da hat es zwischen Herrn Zorniger und mir immer mal wieder geraschelt.

Sie waren im Nachwuchs bei Werder Bremen, haben bei RB gespielt. Trauern Sie den verpassten Chancen auch ein wenig hinterher?
Als ich neulich Joshua Kimmich zum ersten Champions-League-Einsatz gratuliert habe, hat meine Freundin mich auch gefragt, ob ich nicht traurig oder neidisch sei. Ich habe ihr gesagt: überhaupt nicht. Es gibt Gründe, weshalb das so ist. Kimmich hatte den extremen Willen, ich hatte den nicht immer. Ich will jetzt hier Vollgas geben und gucken, wie weit es noch reicht. 3. Liga würde ich mit Lok schon gern noch einmal spielen.

Lok hat einen Lauf, ist Tabellenführer. Wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Situation?
Anfangs war ich etwas gedämpft. Ich hatte noch nicht die Fitness, war mit mir und der Mannschaft noch nicht so zufrieden. Inzwischen merkt man aber, dass wir individuell richtig gute Spieler haben und sich die Abläufe im Team immer mehr fügen. Wir haben durch die Siege immer mehr Selbstvertrauen bekommen, es wird schwer für die Gegner, uns in dieser Saison zu schlagen.

Was macht die Mannschaft aus?
Wir spielen wieder richtig Fußball. In diesem Jahr sind wir der Chef im Ring, können das Spiel selbst machen. Wenn wir das weiter durchziehen, muss uns auch in der Regionalliga nicht angst und bange werden. Das kommt mir und der Mannschaft entgegen. Das Team ist so zusammengestellt, dass wir auch eine Liga höher mitspielen könnten. Wir haben meiner Meinung nach bereits jetzt das Niveau, um in der Regionalliga im Mittelfeld mitmischen zu können.

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