nd-aktuell.de / 04.03.2016 / Kultur / Seite 13

Erdbeermund

Neues von Stereo Total

Thomas Blum

Die Sängerin Françoise Cactus, mit bürgerlichem Namen Françoise van Hove, hält nichts von »kommerziellem Pop-Scheiß«, diesem »durchproduzierten Hightech-Zeug, bei dem es vor allem ums Verkaufen geht. Perfektion tötet den Underground und jeden Trash.« Das zumindest teilte sie in einem Interview kürzlich dem kommerziellen Pop-Blog »Musikblog« mit. Klar, da spricht der alte Do-it-yourself-Gedanke und die Überzeugung, dass Musik nicht etwas sein sollte, über das jemand herrscht oder das jemand verwaltet, schon gar nicht Teil einer Verblödungsindustrie. Mit »Trash« bzw. mit einfach hergestelltem, minimalistischem, manchmal ein wenig albernem, immer aber mitsingbarem Chanson- und Disco-Pop kennt Cactus sich aus. Den macht sie mit ihrem Kompagnon Brezel Göring nämlich jetzt schon seit 23 Jahren. Und weil die beiden erkennbar der undogmatischen Kunst- und Punk᠆szene des Kreuzbergs der 80er Jahre entstammen, weht bis heute in ihren Liedchen immer auch der freie Geist des Quatschmachens und ein Hauch Ideologiekritik. Möglich, dass sich der eine oder die andere noch an den kleinen Hit »Liebe zu dritt« aus dem Jahr 2001 erinnert, ein Plädoyer für eine größere Aufgeschlossenheit, was Fragen der Ausübung der Geschlechtslust angeht: »Ich liebe es, Liebe zu machen / Am liebsten zu dritt / Das ist total out / Das ist Hippieshit / Aber ich sag’ es laut / Ich liebe Liebe zu dritt.«

Die beiden nicht gerade introvertiert wirkenden Künstlerpersönlichkeiten mit den famosen Namen bilden gemeinsam das Berliner Elektropopduo Stereo Total, das Einflüsse aus Punkrock, Italo-Western-Soundtracks, Billigdisco, rumpelig-schroffem Sixties-Surf-Sound, dem US-New Wave der frühen 80er (Devo) und dem französischen Chanson der 70er Jahre (Francoise Hardy) mit Atari-Computerspielgeräuschen mischt und so zu etwas völlig Eigenem verarbeitet - und dabei stets skurrile Ergebnisse hervorbringt.

»Wir haben alles komplett in unserem Keller aufgenommen, Fehler konnten wir keine mehr verbessern. Für mich ist das viel interessanter«, sagte Brezel Göring dem »Tagesspiegel« zur Entstehung des neuen Albums »Les Hormones«, ihres zwölften insgesamt. Mehrere der darauf zu hörenden Tracks beschäftigen sich mit dem Thema Körperpolitik und sind leicht als Kritik am genormten Körperbild im Kapitalismus und an einer TV-Unterhaltungsindustrie zu verstehen, die unentwegt daran arbeitet, dem Individuum einzubimsen, es sei mangelhaft, solange es nicht als gleichgeschalteter und mit allen anderen identischer Klon durch die Gegend stolziert. »Ich möchte jemand anderes sein als ich« heißt es in einem Track. Und das nur, weil es vermeintlich an den richtigen standardisierten Schönheitsmerkmalen mangelt (»Erdbeermund«, »Pfirsichhaut«).

Stereo Total: »Les Hormones« (Staatsakt / Caroline International)