nd-aktuell.de / 18.10.2016 / Kultur / Seite 24

Bombennächte - Mordnächte

Frank Goldammer: »Der Angstmann« ist ein beeindruckendes Krimi-Debüt

Friedemann Kluge

Darf man historisches Grauen als Hintergrund eines immerhin unterhalten wollenden Romans verwenden? Missachtet man da nicht jene, die gelitten haben? Aber: Wo es möglich und gestattet ist, die Shoah als Comic darzustellen (Art Spiegelman: »Die vollständige Maus - Die Geschichte eines Überlebenden«, 2008), sollte es auch erlaubt sein, einen Krimi in die Zerstörung des alten Dresden einzubetten. Vorausgesetzt, dass die Geschichte wahrhaftig ist und dass das Leiden der Menschen nicht verharmlost oder gar veralbert wird.


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* Frank Goldammer: Der Angstmann[1]. Kriminalroman. dtv. 333 S., br., 15,90 €.


Frank Goldammer, Jahrgang 1975, hat sauber recherchiert, hat sich tief in die historischen Gegebenheiten eingearbeitet. Er beschreibt die Ängste in den Kellern, das Flüchtlingselend, die Durchhalteparolen und Siegesfaseleien der mittlerweile demaskierten »Herrenmenschen« und auch die Charaktere der »Wendehälse« so authentisch, als sei er selbst mit dabei gewesen. Ihm gelingt eine überzeugende Darstellung der letzten Monate des Nazireichs und der ersten Monate des Neubeginns 1945. Die Lektüre ist - ganz nebenbei - jedem, der sich mit dem Zweiten Weltkrieg, aber auch mit der Nazidiktatur beschäftigt, nachdrücklich zu empfehlen.

Ach ja, eine Kriminalhandlung kommt natürlich auch vor, eine - das sei für schwache Gemüter gesagt - unglaublich grauenvolle! Da treibt jemand in den Dresdner Bombennächten mit brutalst vorstellbaren Frauenmorden sein Unwesen, indem er es nicht beim Morden bewenden lässt, sondern seine Opfer auch noch auf die entsetzlichste Weise zurichtet. Gerüchte wollen von einem umgehenden »Angstmann« wissen, der u. a. nahezu wölfische Laute von sich gibt. Diese Morde werden zwar von Kriminalinspektor Max Heller in seinem ersten Fall und in Zusammenarbeit mit dem auch heute noch gelegentlich präsenten Kommissar Zufall irgendwann aufgeklärt, und ein für den aufmerksamen Leser und Hinweissucher nicht mehr ganz so überraschender Täter wird gefunden. Eine Geschichte, in der es vor Spannung nur so knistert, die aber insgesamt doch etwas konstruiert daher kommt. Trotz dieser kleinen Einschränkung: Goldammer hat sich eindrucksvoll in die internationale Crème der Kriminalschriftsteller hineingemordet.

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