nd-aktuell.de / 06.12.2016 / Kultur / Seite 14

Theater für Eingeweihte

Die Sophiensæle üben sich in politisch korrekter Zensur

Christian Baron

Fast drei Wochen ist es her, da verbannten die Sophiensæle aus politischen Gründen ein Theaterstück von der Bühne. Im Rahmen des Festivals »Freischwimmer« sollte »Leopardenmorde« zweimal gezeigt werden. Bei der ersten Aufführung saßen Mitarbeiter des Theaters im Publikum. Sie zeigten sich anschließend derart schockiert, dass sie die zweite Vorstellung tags darauf verboten. Der Grund: Das Künstlerkollektiv »k.u.r.s.k.« verwendet in seiner Inszenierung das rassistische N-Wort. Prima, mag der linke Mensch da frohlocken - und sich angesichts des im liberalen Teil der Gesellschaft verbreiteten Bewusstseins gegen Alltagsrassismus nicht weiter wundern, dass es außer durch die konservative Tageszeitung »Die Welt« (»Verbohrte Ideologen!«) kein Medienecho gab.

Am Montag griff dann aber die »Taz« das Thema noch einmal neu auf. War die Redaktion dieses Pflichtblatts der grün-alternativen Bürgerlichkeit bislang als kompromisslose Streiterin für postmoderne Moden wie »Critical Whiteness« (Kritisches Weißsein) und Trigger-Warnungen aufgefallen, bewertet ein Autor des Blattes diese Causa anders. Christoph David Piorkowski schreibt: »Die Verbannung der ›Leopardenmorde‹ aus dem Berliner Theater wirkt bevormundend und paternalistisch. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Bereinigung der Sprache hier als Distinktionstechnik einer Reformelite fungiert, die sich selbst einen rassismusfreien Status jenseits der weißen Norm attestiert.« Das lässt sich eigentlich nur mit einem antiquierten Altmännerausruf kommentieren: Hört, hört!

Denn unter deutschen Linken muss man ja schon sehr genau aufpassen, was man so schreibt. In Zeiten rechter RammböckInnen wie Trump, Petry und Hofer kursieren zahlreiche Deutungen, warum Rechtspopulisten sich über so viel Wählerzuspruch freuen dürfen. Wer darauf hinweist, dass die jahrelange linke Ignoranz gegenüber Verteilungs- und Eigentumsfragen bei gleichzeitiger Fixierung auf liberale Antidiskriminierungsarbeit und gendersensitive Sprachhygiene eine wesentliche Rolle spielen könnte, dem bellen die getroffenen Hunde entgegen, man wolle Rassismus mit Rassismus bekämpfen. Wer also darum bittet, Identitätspolitik nicht wichtiger zu nehmen als Klassenpolitik, der bekommt zu hören, er sei ein chauvinistischer Verteidiger des rassistischen weißen Mobs.

»Leopardenmorde« handelt von dem deutschen Kolonialisten George Ebrecht, der später ein strammer Nazi wurde. Regisseur und Autor Timo Krstin fragt sich in der Fassung von »k.u.r.s.k.«, wie viel von seinem Großvater in ihm selber steckt. Er liest unkommentiert Passagen aus dem autobiografischen Roman des besagten Opas vor. Aus Sicht der Sophiensæle war das Grund genug für ein Verbot, denn demnach wurde der Text mit »deutlich zu geringer kritischer Distanz« gespielt. Dass der Kontext eindeutig antirassistisch ist, war den Verantwortlichen egal.

Solche Vorfälle gab es in Berlin schon häufiger. In Kombination mit dem spät, dann aber von völlig unvermuteter Seite vorgetragenen Missfallen gegenüber dieser den Rechten in die Hände spielenden politisch korrekten Zensur zeigt dieses Beispiel aber vor allem eines: Allmählich entwickelt sich der Deutungskampf unter Linken in die richtige Richtung.