nd-aktuell.de / 22.02.2017 / Das APO-Lexikon / Seite 18

Bürgerinitiative

Lexikon der Bewegungssprache

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Als in den 70er Jahren Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik nur so aus dem Boden schossen, war auch in der Linken die Euphorie groß. Man versprach sich von der basisdemokratischen Selbstorganisierung der Bürger eine deutliche Belebung des politischen Systems. Nach der theoretischen Überhöhung der Anfangsjahre sieht man Bürgerinitiativen heute deutlich nüchterner. Obwohl sie »initiativ« in ihrem Namen tragen, sind BIs, wie sie kurz genannt werden, in der Regel reaktiv - reagieren also nur auf das, was Politiker verzapfen. Dann sammeln sie Unterschriften, demonstrieren, veranstalten Mahnwachen - gegen eine geplante Umgehungsstraße oder eine neue Ferkelfabrik, zuweilen auch für etwas, zum Beispiel einen Kinderspielplatz. In Bürgerinis findet sich ein breites politisches Spektrum, das von Christdemokraten bis zu Kommunisten reichen kann, die sich in dieser einen Sache ausnahmsweise einig sind. Es gibt einige wenige berühmte Bürgerinitiativen wie die gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf oder die BI Umweltschutz Lüchow-­Dannenberg (Wendland) sowie viele, die allenfalls die Spalten der Lokalzeitungen füllen. In der Regel sind die Anliegen der Bürger lokal und inhaltlich begrenzt, was nicht ausschließt, dass 500 Kilometer entfernt andere Leute für dieselben Anliegen auf die Straße gehen. Zuweilen führt das zu gegenseitigen Besuchen, zum Teil sogar zu gemeinsamen Aktionstagen oder gar bundesweiten Zusammenschlüssen. Aber oft ist es den Bürgern hier wie dort schnurzegal, wenn die Fabrik, Deponie oder Stromtrasse bei eben den anderen gebaut würde. Auch deshalb fremdeln Linke ein bisschen mit dieser Veranstaltung der Bildungsbürger, deren Sprecher üblicherweise Studienrat oder Ingenieur sind. Zu unpolitisch und wenig radikal seien sie. Es stimmt, sie heben das System nicht aus den Angeln. Bürgerinis können aber im Kleinen gehörig stören und von Zeit zu Zeit sogar zu richtig machtvollen Bewegungen anwachsen, die dann auch im Großen - siehe Atomkraft - etwas zum Guten bewegen. iw