nd-aktuell.de / 10.03.2017 / Brandenburg / Seite 10

»Besorgniserregende Situation«

Verein Opferperspektive: Rechte Gewalttäter immer aggressiver auch gegen Heranwachsende

Wilfried Neiße

Einen deutlichen Anstieg rassistischer und rechtsextremer Gewalt in Brandenburg hat der Verein Opferperspektive für 2016 registriert. Kritik übte er dabei weniger an der Arbeit der Polizei sondern an der schlep᠆penden juristischen Aufarbeitung.

Die Vertreterin Judith Porath des Vereins, der seit 2002 die Entwicklung auf diesem Feld beobachtet, sagte am Donnerstag in Potsdam, mit der Zunahmen auf 221 Angriffe habe sich die seit 2014 zu beobachtende Tendenz fortgesetzt, die Zahl habe sich seither mehr als verdoppelt. Fast 79 Prozent der Straftaten würden Asylbewerbern gelten oder Menschen, die man dafür halte, sagte sie. Der Verein habe im Vorjahr 335 direkt Betroffene gezählt, indirekt seien 195 Menschen betroffen gewesen. Brutalität und aggressiver Vertreibungswille hätten eindeutig zugenommen, insgesamt 186 Fälle von Körperverletzung und schwerer Körperverletzung sowie einen Mordversuch habe es 2016 gegeben. In Schwedt sei versucht worden, eine Asylbewerberin vor fahrende Autos zu stoßen. Von den neun Brandanschlägen im vergangenen Jahr hätten sechs bewohnten Unterkünften gegolten. Mit diesem eindeutigen Bekenntnis, den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen, sei eine neue Qualität erreicht worden. Dies, so Porath, treffe auch für die zunehmende Aggressivität gegen Kinder und Jugendliche zu, die zum Teil auf Spielplätzen und im Wohnumfeld attackiert würden.

Vereinsmitarbeiter Hannes Püschel sah darin eine »massive Tabuüberschreitung« und den Willen, »um jeden Preis zu verängstigen«. Er verwies darauf, dass die Überfälle »im öffentlichen Raum und am helllichten Tag« stattfänden. Den Opfern würde dort aufgelauert, wo sie sich zumindest zeitweilig aufhalten müssten - im Wohnheim, auf der Straße, am Bahnhof , in der Verkaufstelle.

Die Aktivisten der Opferperspektive zeigten sich überzeugt davon, dass es sich bei der von ihnen vorgelegten Statistik nur um die »Spitze des Eisbergs« handle. Die Folgen für die Opfer seien gravierend, Einschüchterung bewirke, dass Betroffene ihre Wohnung nicht mehr verlassen, abends nicht mehr auf die Straße gehen, nur noch in Gruppen einkaufen.

Der früher oft kritisierte Dissens zwischen eigenen und polizeilichen Angaben zu rechter Gewalt ist weitgehend überwunden. Laut Judith Porath sei eine »Annäherung« erfolgt, doch gebe es in Einzelfällen weiterhin eine unterschiedliche Bewertung.

Unzufrieden zeigten sich die Vereinsvertreter mit dem Verhalten der brandenburgischen Justiz. Im Schnitt komme es anderthalb Jahre nach einem rechtsextremistischen oder rassistischen Überfall zur ersten Verhandlung, sagte Joschka Froschner. In Cottbus könne man zwischen Tat und Erstverhandlung sogar durchschnittlich zwei Jahre ansetzen. Er berichtete von einem einschlägigen Überfall, der im April 2012 in Spremberg stattgefunden habe und dessen Verhandlung vor dem Landgericht nun erneut um mindestens ein Vierteljahr verschoben werde.

Für das Bild in der Öffentlichkeit sei es verheerend, wenn Täter noch jahrelang frei herumlaufen könnten, Nachwuchs rekrutierten oder sogar weitere Straftaten begehen, sagte Froschner. Auf die »Szene« verfehle das seine Wirkung nicht. In Cottbus seien die Straftaten massiv angestiegen, eine Kombination aus Hooligans, Türstehern und Kampfsportlern reklamiere die Macht auf der Straße für sich. Menschen, die von ihnen als Gegner ausmachen würden, sei nicht zu raten, zu bestimmten Zeiten bestimmte Orte aufzusuchen.

In Frankfurt (Oder) habe sich die Zahl gewaltsamer rechter Übergriffe gegenüber 2015 sogar verdoppelt, dort seien auch Studierende der Europa-Universität »Viadrina« Opfer geworden.