nd-aktuell.de / 29.04.2017 / Unten links / Seite 1

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Christin Odoj

Schicksalhafte Begegnungen sind in der Literatur unerlässlich, damit es überhaupt spannend wird. Beispiele gibt es genug. Faust, der Gretchen von der Beichte kommend abfängt, oder sexy Major Crampas, der auf die emotional tiefgefrorene Adelsgattin Effi Briest trifft. Nun stellt sich aber spätestens seit Donnerstagabend ernsthaft die Frage, ob denn die Realität die Kunst nur imitiert und nicht andersrum, wie vielfach behauptet. Da trifft CDU-Staatssekretär Jens Spahn in einer Talkshow, in der es um den Mindestlohn geht, doch tatsächlich zufällig auf seine ehemalige Friseurin aus Prenzlauer Berg. Beide werden puterrot, was aus Sicht der Friseurin auch verständlich ist, weil plötzlich alle auf Spahns Nichtfrisur starren. Viel beachtlicher ist allerdings die Erzählebene, die uns Maybrit Illner, wohl künftige Buchpreisträgerin, hier eröffnet. Eigentlich dürfte Lilly Sandberg, die Friseurin, gar nicht existieren, denn in Spahns Welt zerstörte der Mindestlohn einst ihre Existenzgrundlage. cod