nd-aktuell.de / 19.05.2017 / Kultur / Seite 16

Leseprobe

Paul Masons schöne Utopie

Den Tod des Kapitalismus anzusagen, ist wieder angesagt. Dabei fallen zwei Varianten der Anzeige auf: Die eine, die von Wolfgang Streeck kommt und, mit einem dicken Trauerrand versehen, nur noch Degeneration ohne Ende sieht, und eine optimistische, beispielhaft von Paul Mason verfasst, die ein Ende des Endes und ein Post prophezeit, ein besseres Leben nach dem Kapitalismus. Beide Varianten überschneiden sich in vielen Zügen der Analyse, insbesondere in dem, was sie zur Krise von Ökonomie und Finanzen zu sagen haben. Die optimistische Variante stützt sich, am ausgeprägtesten bei Paul Mason, auf eine Dynamik der Produktivkraftentwicklung, die sie insbesondere in der digitalen, elektronischen Technik bzw. in deren Eindringen in alle Felder nicht nur der Produktion, sondern auch der Reproduktion wahrnimmt. Davon verspricht sie sich nicht nur eine Lösung aller Knappheitsprobleme, sondern auch die Konstitution eines neuen Subjekts der Geschichte: der »networked humanity«, die das Erbe des Proletariats antrete.

Doch selbst wenn man das Leben nach dem Kapitalismus für möglich und erstrebenswert hält, muss man nicht jedes Bild davon bzw. vom Weg dorthin für valide halten: Paul Mason, dessen Gemälde der in die postkapitalistischen Zukunft drängenden Kräfte hier im Mittelpunkt stehen soll, spannt dieses auf einen großen Rahmen auf, der, wenigstens in groben Zügen, nicht nur die Geschichte der letzten 250 Jahre des Kapitalismus mit all seinen Krisen und Erneuerungen, sondern auch die der gegen ihn gerichteten Bewegungen zu umfassen versucht. Der damit verbundene Anspruch ist kein geringerer als der, die historischen Fehler der letzteren vermeidend, auf der Grundlage eines profunden Verständnisses der technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Dynamik des Kapitalismus den Weg zu seiner Überwindung zu weisen. Doch das Gemälde weist nicht nur zu viele, im Einzelfall vielleicht tolerierbare, doch in ihrer Massierung nicht mehr hinnehmbare Nachlässigkeiten im Detail, sondern auch grobe Unstimmigkeiten in der Gesamtkonzeption auf, um diesen Anspruch zu erfüllen.

Aus der Einleitung von Rainer Fischbach zu seinem Buch »Die schöne Utopie. Paul Mason, der Postkapitalismus und der Traum vom grenzenlosen Überfluss« (PapyRossa, 140 S., br., 12,90 €).