nd-aktuell.de / 23.12.2017 / Kultur / Seite 18

Das Gespenst

Angsthasen I

Irmtraud Gutschke

Es hatte kein Gesicht, war nur eine weiße Masse. Nie hat es mir Schlimmes getan, mich noch nicht mal angerührt. Vielleicht war es bloß ein, zwei Mal hinter dem Schrank am Ende des dunklen Flurs hervorgekommen. Aber ich wusste, dass es dort lauerte. Das Schreckliche war: Meine Beine trugen mich von selbst dorthin, während ich in der Tiefe ahnte, dass ich träumte. Nur wenn ich erwachte, würde ich der Bedrohung ausweichen können. Da war der »springende Nähtisch« im Wohnzimmer sogar gefährlicher. Während er sich tickend auf mich zubewegte, wollte er mich zum offenen Fenster hin treiben. Aber springen konnte ich nicht.

Das Schlimme war die Angst vor der Angst, aus der man sich hätte befreien können, wenn man aufgewacht wäre. Nach der Mutter rufen! Das wäre die Rettung. Aber so sehr ich mich bemühte, ich hatte keine Stimme. Noch heute erinnere ich mich an die krampfhaften Befreiungsversuche und weiß nicht, wie ich diese Angstträume deuten soll.

Ein Vorschulkind, das im Frieden aufwuchs. Fantasiebegabt, das ja. Die Mutter indes konnte es sich zu dieser Zeit gar nicht leisten, zu ihrer tatkräftigen Nüchternheit Abstand zu haben. Der Vater über die Woche weg beim Talsperrenbau, sie mit zwei kleinen Kindern und den alten Schwiegereltern in der Wohnung allein. Sie lachte, als ich ihr endlich von meiner nächtlichen Furcht zu erzählen wagte, nahm mich an die Hand und führte mich zu dem weiß bezogenen Bügelbrett, das hinter dem Schrank lehnte.

Wenn sich nur alle Ängste so leicht auflösen ließen!

Irmtraud Gutschke