nd-aktuell.de / 29.03.2018 / Sport / Seite 19

Ein Amerikaner darf den Weltmeister herausfordern

Glücksfall fürs Schach: Fabiano Caruana (USA) gewinnt das Kandidatenturnier in Berlin und spielt in London das WM-Finale gegen Magnus Carlsen

Dagobert Kohlmeyer

Wenn Bobby Fischer das noch erlebt hätte: Mit Fabiano Caruana spielt dieses Jahr wieder ein Großmeister aus den USA um die Schachweltmeisterschaft. Im spannenden Kandidatenturnier von Berlin legte der 25-jährige Figurenkünstler den stärksten Endspurt hin und gewann mit einem Punkt Vorsprung vor Sergej Karjakin (Russland) und Schachrijar Mamedjarow (Aserbaidschan). Damit erwarb der in Miami geborene Italo-Amerikaner das Recht, Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen herauszufordern. Das Match findet im November in London statt.

«Ich bin absolut begeistert und könnte nicht glücklicher sein», erklärte der Sieger nach der letzten Partie. Als ich heute ans Brett kam, war ich mir nicht sicher, was passieren würde. Vor ein paar Tagen dachte ich, das Turnier wäre nicht in meinen Händen, aber irgendwie kamen die Dinge am Ende perfekt zusammen.«

Zweieinhalb Wochen dauerte das Turnier, das die Schachfans vor Ort im Berliner Kühlhaus und in aller Welt begeisterte. In den historischen Backsteinklotz am Gleisdreieck kamen an den ausverkauften Wochenenden täglich 500 Zuschauer, an den anderen Tagen etwa die Hälfte. Hunderttausende verfolgten die Züge im Internet. Sie sahen packende Kämpfe von acht Supergroßmeistern, die 14 Runden absolvieren mussten.

Um den stattlichen Preisfonds von 420 000 Euro ging es nur in zweiter Linie. Allein der Sieg zählte und damit die historische Chance, ein WM-Match zu spielen. Diesen unbezahlbaren Gewinn wollten alle - eine Herkulesaufgabe. Sie motivierte die psychisch Starken und lähmte die Anfälligen, zum Beispiel den Armenier Levon Aronjan, der zu viele Vorschusslorbeeren erhielt und erneut an seinen Nerven scheiterte. Er wurde Letzter.

Drei Spieler drückten dem Turnier besonders ihren Stempel auf: Fabiano Caruana sowie die beiden Russen Wladimir Kramnik und Sergej Karjakin. Exweltmeister Kramnik hatte den besten Start und spielte eine brillante Partie, die in die Schachbücher eingehen wird. Sein Schwarzsieg gegen Aronjan in einer Spanischen Partie aus der sogenannten Berliner Verteidigung heraus (siehe Notation) war weltmeisterlich. Kramnik hatte die alte Variante vor Jahren neu belebt und bei seinem WM-Sieg gegen den großen Kasparow im Jahre 2000 mit der »Berliner Mauer« alle Attacken abgewehrt. Nun startete er mit seiner defensiven Wunderwaffe auch noch einen furiosen Mattangriff - mehr Kreativität geht nicht!

Nach drei Runden lag der Turniersenior Kramnik vorn, erlitt dann aber in der Turniermitte einen Einbruch und war praktisch aus dem Rennen. Mitfavorit Caruana übernahm die Führung und behauptete sie bis zum 12. Spieltag. Dann kam Karjakin, der sich nach verkorkstem Start (nur 2 Punkte aus 6 Partien) leise an die Spitze herangearbeitet hatte. Er bezwang Caruana und lag nun mit dem Amerikaner gleichauf - ein großer psychologischer Vorteil. Bei Punktgleichheit hätte am Ende der direkte Vergleich zugunsten Karjakins entschieden. Im Moskauer Kandidatenturnier 2016 hatte der Russe den Amerikaner am Ende auch besiegt und war ein starker Herausforderer von Carlsen geworden.

Würde sich die Geschichte in Berlin wiederholen? Nein, sie tat es nicht! Während Karjakin in beiden Schlussrunden nur remis spielte, gewann Caruana zweimal. Zuletzt rang er in sechs Stunden Sascha Grischuk (Russland) nieder, den wildesten Spieler im Feld. Weil die Partien an den anderen Tischen unentschieden endeten, musste Caruana sein Abschlusspiel gar nicht mehr gewinnen. Er tat es dennoch und ging als souveräner Sieger durchs Ziel.

Magnus Carlsen bekommt einen würdigen Gegner, der zudem mit Rustam Kasimdschanow (Usbekistan) einen der weltbesten Sekundanten hat. Beide Schachstars treffen sich nicht erst zum WM-Finale in London. Sie spielen bereits beim »Grenke Chess Classic« gegeneinander, das am kommenden Samstag beginnt und in Karlsruhe sowie Baden-Baden ausgetragen wird. »Dort werde ich Magnus einen Vorgeschmack darauf geben, was ihn bei der WM erwartet,« erklärte der selbstbewusste Herausforderer.

Endstand: 1. Caruana (USA) 9,0, 2. Karjakin (Russland), 3. Mamedjarow (Aserbaidschan) je 8,0, 4. Ding Liren (China) 7,5, 5. Grischuk, 6. Kramnik ( beide Russland) je 6,5, 7. So (USA) 6,0, 8. Aronjan (Armenien) 4,5