Ein Amerikaner darf den Weltmeister herausfordern

Glücksfall fürs Schach: Fabiano Caruana (USA) gewinnt das Kandidatenturnier in Berlin und spielt in London das WM-Finale gegen Magnus Carlsen

  • Dagobert Kohlmeyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Bobby Fischer das noch erlebt hätte: Mit Fabiano Caruana spielt dieses Jahr wieder ein Großmeister aus den USA um die Schachweltmeisterschaft. Im spannenden Kandidatenturnier von Berlin legte der 25-jährige Figurenkünstler den stärksten Endspurt hin und gewann mit einem Punkt Vorsprung vor Sergej Karjakin (Russland) und Schachrijar Mamedjarow (Aserbaidschan). Damit erwarb der in Miami geborene Italo-Amerikaner das Recht, Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen herauszufordern. Das Match findet im November in London statt.

«Ich bin absolut begeistert und könnte nicht glücklicher sein», erklärte der Sieger nach der letzten Partie. Als ich heute ans Brett kam, war ich mir nicht sicher, was passieren würde. Vor ein paar Tagen dachte ich, das Turnier wäre nicht in meinen Händen, aber irgendwie kamen die Dinge am Ende perfekt zusammen.«

Die beste Partie des Turniers
Aronjan - Kramnik, Spanische Partie: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.d3 Lc5 5.Lxc6 dxc6 6.0-0 De7 7.h3 Tg8 8.Kh1 Sh5 9.c3 g5 10.Sxe5 g4 11.d4 Ld6 12.g3 Lxe5 13.dxe5 Dxe5 14.Dd4 De7 15.h4 c5! 16. Dc4 Le6 17.Db5+ c6 18.Da4 f5 19.Lg5 Txg5 20.hxg5 f4 21.Dd1 Td8 22.Dc1 fxg3 23.Sa3 Td3 24.Td1 Ld5 25.f3 gxf3 26.exd5 De2 27.Te1 g2+ 0-1 (Auf 28.Kh2 folgt 28…g1D+ 29.Kxg1 f2+ 30.Kg2 fxe1D matt.)

Zweieinhalb Wochen dauerte das Turnier, das die Schachfans vor Ort im Berliner Kühlhaus und in aller Welt begeisterte. In den historischen Backsteinklotz am Gleisdreieck kamen an den ausverkauften Wochenenden täglich 500 Zuschauer, an den anderen Tagen etwa die Hälfte. Hunderttausende verfolgten die Züge im Internet. Sie sahen packende Kämpfe von acht Supergroßmeistern, die 14 Runden absolvieren mussten.

Um den stattlichen Preisfonds von 420 000 Euro ging es nur in zweiter Linie. Allein der Sieg zählte und damit die historische Chance, ein WM-Match zu spielen. Diesen unbezahlbaren Gewinn wollten alle - eine Herkulesaufgabe. Sie motivierte die psychisch Starken und lähmte die Anfälligen, zum Beispiel den Armenier Levon Aronjan, der zu viele Vorschusslorbeeren erhielt und erneut an seinen Nerven scheiterte. Er wurde Letzter.

Drei Spieler drückten dem Turnier besonders ihren Stempel auf: Fabiano Caruana sowie die beiden Russen Wladimir Kramnik und Sergej Karjakin. Exweltmeister Kramnik hatte den besten Start und spielte eine brillante Partie, die in die Schachbücher eingehen wird. Sein Schwarzsieg gegen Aronjan in einer Spanischen Partie aus der sogenannten Berliner Verteidigung heraus (siehe Notation) war weltmeisterlich. Kramnik hatte die alte Variante vor Jahren neu belebt und bei seinem WM-Sieg gegen den großen Kasparow im Jahre 2000 mit der »Berliner Mauer« alle Attacken abgewehrt. Nun startete er mit seiner defensiven Wunderwaffe auch noch einen furiosen Mattangriff - mehr Kreativität geht nicht!

Nach drei Runden lag der Turniersenior Kramnik vorn, erlitt dann aber in der Turniermitte einen Einbruch und war praktisch aus dem Rennen. Mitfavorit Caruana übernahm die Führung und behauptete sie bis zum 12. Spieltag. Dann kam Karjakin, der sich nach verkorkstem Start (nur 2 Punkte aus 6 Partien) leise an die Spitze herangearbeitet hatte. Er bezwang Caruana und lag nun mit dem Amerikaner gleichauf - ein großer psychologischer Vorteil. Bei Punktgleichheit hätte am Ende der direkte Vergleich zugunsten Karjakins entschieden. Im Moskauer Kandidatenturnier 2016 hatte der Russe den Amerikaner am Ende auch besiegt und war ein starker Herausforderer von Carlsen geworden.

Würde sich die Geschichte in Berlin wiederholen? Nein, sie tat es nicht! Während Karjakin in beiden Schlussrunden nur remis spielte, gewann Caruana zweimal. Zuletzt rang er in sechs Stunden Sascha Grischuk (Russland) nieder, den wildesten Spieler im Feld. Weil die Partien an den anderen Tischen unentschieden endeten, musste Caruana sein Abschlusspiel gar nicht mehr gewinnen. Er tat es dennoch und ging als souveräner Sieger durchs Ziel.

Magnus Carlsen bekommt einen würdigen Gegner, der zudem mit Rustam Kasimdschanow (Usbekistan) einen der weltbesten Sekundanten hat. Beide Schachstars treffen sich nicht erst zum WM-Finale in London. Sie spielen bereits beim »Grenke Chess Classic« gegeneinander, das am kommenden Samstag beginnt und in Karlsruhe sowie Baden-Baden ausgetragen wird. »Dort werde ich Magnus einen Vorgeschmack darauf geben, was ihn bei der WM erwartet,« erklärte der selbstbewusste Herausforderer.

Endstand: 1. Caruana (USA) 9,0, 2. Karjakin (Russland), 3. Mamedjarow (Aserbaidschan) je 8,0, 4. Ding Liren (China) 7,5, 5. Grischuk, 6. Kramnik ( beide Russland) je 6,5, 7. So (USA) 6,0, 8. Aronjan (Armenien) 4,5

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal