nd-aktuell.de / 19.05.2018 / Kultur / Seite 16

Eisig, erschütternd

Mikko Frank dirigierte Robert Schumanns Oratorium »Das Paradies und die Peri« in der Philharmonie

Stefan Amzoll

Robert Schumanns »Das Paradies und die Peri« aufzuführen, ist durchaus ein Wagnis. Das Werk für Soli, Chor und Orchester (1841 - 1843) ist nicht populär wie Händels »Messias« oder die »Eroica« von Beethoven. Es dauert bald zwei Stunden und wird selten gespielt. Das hat Gründe. Der romantische, exotisch kolorierte, von magischer Liebe und schrecklichen Toden erzählende Text von Thomas Moore - er verbindet Säkulares mit Christlichem und führt über den Okzident in die Welt des Orients (deutsch von Emil Flechsig und dem Komponisten) - ist in seiner Diktion veraltet, teils auch kurios in seinen Ausschmückungen, so wie vielleicht einige Kantatentexte von Bach, deren Musik trotzdem immer wieder gespielt wird.

Der Text, nachzulesen auf 14 Seiten im Programmheft, bereitet häufig Kopfschütteln. »So sann sie nach und schwang die Flügel/ Jetzt über Indiens Blumenhügel.« Als Thomas Moores Verse seinerzeit auf den englischen Markt kamen, wurden sie rasch populär, und der Dichter erlangte Ruhm. Produkt seiner Zeit. Heute kennt ihn keiner mehr. Sodann hat das dreiteilige Oratorium Längen. Es wird weitschweifig erzählt, namentlich in der Tenorstimme, deren Sänger als eine Art Evangelist fungiert. Dieselbe wirkt nicht selten gleichförmig, was für die Wahrnehmung nicht förderlich ist. Deswegen die vielen Intermedien, kurze, längere, profilierte, wenig profilierte. Manche haben nur zwei bis vier Takte und dienen dazu, Texte/Gesänge aufzubrechen. Der Komponist wusste offenbar um die Schwächen der Vorlage.

Gleichwohl gehört »Das Paradies und die Peri« zu den großen Arbeiten von Robert Schumann. Es hat geniale Züge in der vokal-instrumentalen Architektur, der Basspartie, der besten des Werkes überhaupt, wie in den Chören. Sie sind stellenweise subtil polyphon verzahnt mit den Solostimmen. Löblich nicht minder die Ensembles zu viert oder zu sechst am Ende, nicht zuletzt die kraftvolle Apotheose des Finales.

Aber die große Arbeit verliert an Größe, stimmt etwas bei der Aufführung nicht. Sopranistin Sally Matthews als Peri, gewiss eine ehrenwerte, hochgeschätzte Künstlerin, war ein glatter Ausfall. Sie hatte viel Text zu transportieren, und nichts davon war zu verstehen. Wackelig ihre Parts. Mit viel zu viel Vibrato schliff sie über die Worte hinweg.

Großes Lob gebührt dem Dirigenten Mikko Frank, kapitaler Leiter der konzentriert aufspielenden Philharmoniker. Er war für Simon Rattle eingesprungen. Der kleine hochversierte Mann dirigierte vom Stuhle aus, erhob sich immer mal wieder und dirigierte, weg vom Pult, nahe an den Musikern, im Stehen weiter. So kann man das auch machen. Blendend die Partien der beiden anderen Damen: Anna Prochaska, Sopran, immerfort gerühmt, und Gerhild Romberger, Alt. Tenor Mark Padmore schlug sich als »Evangelist« tapfer. Viel weniger hatte der vorzügliche Andrew Staples zu tun.

Unbedingt hervorzuheben: Bariton Christian Gerhaher, der anfangs im Offizierston singend in die vollbesetzte Halle der Philharmonie hineinschreitet. Im Schlussteil gibt er mehrere Einsätze, bei denen es einem kalt den Rücken herunterläuft: »Jetzt sang des Abends gold’ner Schein …« oder »Und Jordan, dein beglückter Strand,/ Und deine nachtigallenweichen Wälder!« Die Verse singt er konsequent syllabisch aus. Langsam, betont, kalt, distanziert zu Text und Begleitung. Das klang wie der »Leiermann« aus Schuberts »Winterrreise«, eisig, erschütternd. Ein großes Erlebnis, allein diese Stellen gehört zu haben.