Eisig, erschütternd

Mikko Frank dirigierte Robert Schumanns Oratorium »Das Paradies und die Peri« in der Philharmonie

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Robert Schumanns »Das Paradies und die Peri« aufzuführen, ist durchaus ein Wagnis. Das Werk für Soli, Chor und Orchester (1841 - 1843) ist nicht populär wie Händels »Messias« oder die »Eroica« von Beethoven. Es dauert bald zwei Stunden und wird selten gespielt. Das hat Gründe. Der romantische, exotisch kolorierte, von magischer Liebe und schrecklichen Toden erzählende Text von Thomas Moore - er verbindet Säkulares mit Christlichem und führt über den Okzident in die Welt des Orients (deutsch von Emil Flechsig und dem Komponisten) - ist in seiner Diktion veraltet, teils auch kurios in seinen Ausschmückungen, so wie vielleicht einige Kantatentexte von Bach, deren Musik trotzdem immer wieder gespielt wird.

Der Text, nachzulesen auf 14 Seiten im Programmheft, bereitet häufig Kopfschütteln. »So sann sie nach und schwang die Flügel/ Jetzt über Indiens Blumenhügel.« Als Thomas Moores Verse seinerzeit auf den englischen Markt kamen, wurden sie rasch populär, und der Dichter erlangte Ruhm. Produkt seiner Zeit. Heute kennt ihn keiner mehr. Sodann hat das dreiteilige Oratorium Längen. Es wird weitschweifig erzählt, namentlich in der Tenorstimme, deren Sänger als eine Art Evangelist fungiert. Dieselbe wirkt nicht selten gleichförmig, was für die Wahrnehmung nicht förderlich ist. Deswegen die vielen Intermedien, kurze, längere, profilierte, wenig profilierte. Manche haben nur zwei bis vier Takte und dienen dazu, Texte/Gesänge aufzubrechen. Der Komponist wusste offenbar um die Schwächen der Vorlage.

Gleichwohl gehört »Das Paradies und die Peri« zu den großen Arbeiten von Robert Schumann. Es hat geniale Züge in der vokal-instrumentalen Architektur, der Basspartie, der besten des Werkes überhaupt, wie in den Chören. Sie sind stellenweise subtil polyphon verzahnt mit den Solostimmen. Löblich nicht minder die Ensembles zu viert oder zu sechst am Ende, nicht zuletzt die kraftvolle Apotheose des Finales.

Aber die große Arbeit verliert an Größe, stimmt etwas bei der Aufführung nicht. Sopranistin Sally Matthews als Peri, gewiss eine ehrenwerte, hochgeschätzte Künstlerin, war ein glatter Ausfall. Sie hatte viel Text zu transportieren, und nichts davon war zu verstehen. Wackelig ihre Parts. Mit viel zu viel Vibrato schliff sie über die Worte hinweg.

Großes Lob gebührt dem Dirigenten Mikko Frank, kapitaler Leiter der konzentriert aufspielenden Philharmoniker. Er war für Simon Rattle eingesprungen. Der kleine hochversierte Mann dirigierte vom Stuhle aus, erhob sich immer mal wieder und dirigierte, weg vom Pult, nahe an den Musikern, im Stehen weiter. So kann man das auch machen. Blendend die Partien der beiden anderen Damen: Anna Prochaska, Sopran, immerfort gerühmt, und Gerhild Romberger, Alt. Tenor Mark Padmore schlug sich als »Evangelist« tapfer. Viel weniger hatte der vorzügliche Andrew Staples zu tun.

Unbedingt hervorzuheben: Bariton Christian Gerhaher, der anfangs im Offizierston singend in die vollbesetzte Halle der Philharmonie hineinschreitet. Im Schlussteil gibt er mehrere Einsätze, bei denen es einem kalt den Rücken herunterläuft: »Jetzt sang des Abends gold’ner Schein …« oder »Und Jordan, dein beglückter Strand,/ Und deine nachtigallenweichen Wälder!« Die Verse singt er konsequent syllabisch aus. Langsam, betont, kalt, distanziert zu Text und Begleitung. Das klang wie der »Leiermann« aus Schuberts »Winterrreise«, eisig, erschütternd. Ein großes Erlebnis, allein diese Stellen gehört zu haben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal