nd-aktuell.de / 05.09.2018 / Kultur / Seite 12

Kokoswasser

Thomas Blum

Hätte man beim Eintreten in das Speiselokal genau hingeschaut, hätte man im Grunde schon stutzig werden müssen: Hat sich nicht früher in dieser Straße an genau dieser Stelle die einigermaßen annehmbare, seinerzeit angenehm dunkle Saufgaststätte »Freies Neukölln« befunden? Und hat man es hier, beim Restaurant »Maison Han«, das jetzt dort ist, nicht eindeutig mit einem dieser Angeberlokale zu tun, die sich nach der gelungenen Gentrifizierung Neuköllns dort in großem Stil ausbreiten und analog zum albernen Schischi-Schick ihrer Inneneinrichtung auch gleich die Preise anheben? Also bitte! Ein vietnamesisches Restaurant, das aussehen will wie die wenig gelungene Imitation einer Starbucksfiliale? Wo sich neben den Restauranttischen kleine Altäre befinden, auf denen diverse Packungen vietnamesischer Edelkaffeesorten (die selbstverständlich käuflich zu erwerben sind) so arrangiert sind, dass der Gast beim Essen ständig darauf schauen muss? Und ist nicht der blasierte, geschniegelte Typ Marke Unternehmersohn mit dem rosafarbenen Ralph-Lauren-Polohemd da am Tisch, der gerade seine blonde Lottofee mit Nichtigkeiten zutextet, so etwas wie der lebende Beweis dafür, dass man, wenn auch des nicht länger zu verdrängenden, bohrenden Hungers wegen, soeben das falsche Lokal gewählt hat?

Ich bestelle zuerst ein 4,50 Euro teures Getränk, das logischerweise einen exotischen Namen trägt und der Getränkekarte zufolge die Zutaten Kokoswasser und frische Minze enthält. Was ich schließlich bekomme, sieht nicht nur aus wie ein Glas Eiswürfel. Tatsächlich besteht der Inhalt des Glases ausschließlich aus Eiswürfeln, sieht man einmal von der ca. fingerhutgroßen Menge »Kokoswasser« und dem am Grund des Glases klebenden vergammelten Minzeblättchen ab, das so aussieht, als werde es bereits seit mehreren Tagen für jedes von den Gästen bestellte Getränk verwendet. Der kleine Schluck »Kokoswasser«, den man aus dem Glas extrahieren bzw. zwischen den Eisklumpen finden und dann von dort mühevoll herauszutzeln muss, schmeckt trotz seiner milchigen Einfärbung nach exakt nichts.

Das Essen kommt nicht. Nach einer halben Stunde erkundige ich mich bei der Bedienung freundlich nach dem von mir bestellten Essen, woraufhin mir mitgeteilt wird, man habe eine solche Bestellung von mir nicht erhalten. Das sei nicht möglich, sage ich leicht gereizt, ich hätte ja beim Hereinkommen in dieses Lokal und nach meiner Begrüßung deutlich geredet und währenddessen mit meinen eigenen Augen mitverfolgt, wie sie, die Bedienung, etwas auf einem Zettel notiert habe. Ob die Notizen nicht vielleicht etwas mit meiner Essensbestellung zu tun gehabt haben könnten, frage ich. Keine Antwort.

Das Essen, als es irgendwann schließlich doch noch serviert wird, entpuppt sich als eine Hand voll Fleischklümpchen von gummiartiger Konsistenz, die in einer undefinierbaren süßsauren Flüssigkeit schwimmen und unter einem Berg ausgetrockneter Weißkrautstreifen begraben liegen. Ich lasse es mir einpacken.