nd-aktuell.de / 12.03.2022 / Kultur / Seite 9

Lasst uns in Frieden (10): Kein Applaus für den Opfergang

Der britische Partisanenführer und Schriftsteller Stuart Hood wusste, was es heißt, einen Menschen zu töten

Thomas Wagner

Eine Sache ist es, wenn sich Männer und Frauen in der Ukraine russischen Panzern mit Molotowcocktails ausgestattet entgegenstellen. Eine andere ist es, wenn man ihnen dafür in Talkshows applaudiert und sie mit Waffenlieferungen zu ihrem blutigen Opfergang auch noch ermutigt. Man mag in dem bewaffneten Einsatz von Bürgerwehren einen Akt der Notwehr sehen - ohne erhebliche weitere Brutalisierung des Krieges wird er nicht zu haben sein.

Wie sehr der Krieg auch jene Akteure zu monströsen Handlungen verleitet, die zweifelsfrei auf der richtigen Seite kämpfen, zeigt das literarische Zeugnis des britischen Nachrichtenoffiziers und Partisanenführers Stuart Hood aus der Endphase des antifaschistischen Kampfes in Italien. Sein unter dem Titel »Carlino« veröffentlichtes Buch ist keine Heldengeschichte, sondern zeigt die schrecklichen Konsequenzen eines Kampfes auf Leben und Tod (s. Foto: Erschöpfte Partisanen feiern die Befreiung von Florenz 1944). Der Vorfall ereignete sich 1944 in der Toskana: Hood lässt Waffen einsammeln, die von einem alliierten Flugzeug abgeworfen worden waren. Am Ende der Aktion stellt sich heraus, dass in seiner Truppe eine Person zu viel ist. Handelt es sich bei dem jungen Mann um einen Spion? Das anschließende Verhör kann ihn nicht zweifelsfrei entlasten. Um das Leben seiner Truppe nicht aufs Spiel zu setzen, beschließt Hood widerwillig, den möglicherweise Unschuldigen liquidieren zu lassen.

Nach dem Krieg macht der 1915 geborene ehemalige Jungkommunist eine Karriere beim Fernsehsender BBC und befreundet sich mit seinem Londoner Nachbarn Erich Fried. Er betätigt sich als Übersetzer, Medientheoretiker, Sachbuchautor und Romancier; um 1970 ist er gelegentlich als Gast in Werner Höfers »Internationalem Frühschoppen« zu sehen. Als er im Umfeld von Fried beobachtet, wie ein Teil der deutschen Linksradikalen in den Untergrund geht, holt ihn das Thema der politischen Gewalt wieder ein. Auf der einen Seite kann er die militanten Impulse der jungen Aktivisten gut nachvollziehen. Aber er weiß auch, was es heißt, einen Menschen zu töten. In seinem Roman »Das verrohte Herz« geht es um eine linke Gruppe, die den Weg in den Untergrund gewählt hat und nun beschließt, einen Genossen zu liquidieren, der verdächtigt wird, ein Verräter zu sein.

1977 gehört der Brite neben Fried und Peter Brückner zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, der Hans-Joachim Kleins Absage an den bewaffneten Kampf der RAF begrüßt. Hoods auf Deutsch beim Schweizer Verlag Edition 8 erschienene Bücher, die auch literarisch überzeugen, sind es wert, neu entdeckt zu werden. Thomas Wagner