nd-aktuell.de / 12.05.2022 / Politik / Seite 1

»Ich muss mit bewaffneten Gruppen sprechen«

Dalia Mina Valencia ist Präsidentin des Selbstverwaltungsrates der Schwarzen Gemeinden am Fluss Yurumanguí. Sie kämpft für Frauenrechte

Gabriel Engelbart
Wandbild in der Gemeinde am Yurumanguí-Fluss
Wandbild in der Gemeinde am Yurumanguí-Fluss

Was bedeutet es, als Frau eine Führungsrolle in der Gemeinde einzunehmen?

Zuallererst heißt das, ein Vorbild im politischen Prozess zu sein. Wenn ich gefragt werde, was ich persönlich durch meinen Aktivismus dazugelernt habe, dann sind das vor allem zwei Dinge: Erkenntnis und Anerkennung. Die bloße Tatsache, als Frau Präsidentin des Gemeinderats in diesem Territorium zu sein, bedeutet, dass wir Frauen eine Menge Wissen angesammelt haben und von unseren Gemeindemitgliedern anerkannt werden.

Was sind die wesentlichen Herausforderungen in Bezug auf die Frauenrechte in Yurumanguí und am kolumbianischen Pazifik?

Die Stigmatisierung der Schwarzen Frauen und der Chauvinismus unserer Männer sind die größten Probleme. Manchmal glauben die Männer, dass wir nicht in der Lage sind, Entscheidungen für unsere Gemeinschaft zu treffen, doch wir beweisen ihnen tagtäglich das Gegenteil. Oft halten unsere männlichen Aktivisten wunderschöne Reden, aber wir Frauen sind es, die die Reden runterbrechen und in die Tat umsetzen.

Der Konflikt am Pazifik hat sich mit Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und der Guerrilla FARC-EP im Jahr 2016 stetig verschärft. Wie hat sich das auf die Frauen im Konfliktgebiet ausgewirkt?

Mich als Präsidentin des Gemeinderats einzusetzen war eine Strategie des Zusammenschlusses afrokolumbianischer Gemeinden (PCN), um die »verbrannten« Männer aus der Schusslinie zu nehmen. Die bewaffneten Gruppen respektieren uns als Frauen mehr, weil wir glaubwürdiger sind. Ich erinnere mich an einen konkreten Fall. Eine neue bewaffnete Gruppe tauchte in unserem Territorium auf und wollte mit uns sprechen. Wir haben sie eingeladen, und als der Kommandant vor die versammelte Gruppe aus ausschließlich Frauen trat, war er offensichtlich überrascht.

Sie haben den Grundsatz der Distinktion zwischen Zivilen und Bewaffneten erwähnt. Was sind die wichtigsten Schritte, um den momentanen Konfliktzustand zu überwinden?

Wir bitten die Menschenrechts- und die humanitären Organisationen darum, mit den bewaffneten Akteuren Gespräche aufzunehmen und auf diese einzuwirken, dass sie unsere zivilen Gemeinden aus dem Konflikt heraushalten. Sie müssen über das humanitäre Völkerrecht aufgeklärt werden. Oft wissen sie nicht einmal von dessen Existenz. Mit den neuen Strategien im militärischen Konflikt werden die Gemeinden immer tiefer mit hineingezogen.

Die Lager der bewaffneten Gruppen befinden sich in Reichweite unserer Dörfer. Deshalb sind eine permanente Begleitung und Beobachtungsmission von enormer Bedeutung. Wir verlangen außerdem von der Regierung, den Menschen eine grundständige Ausbildung zu garantieren und Einkommensmöglichkeiten zu bieten. Aufgrund mangelnder Zukunftsaussichten ist es für bewaffnete Akteure oder Drogenhändler eine einfache Angelegenheit, sie gegen eine geringe Bezahlung für ihre Geschäfte zu gewinnen.

Welche Berufsperspektiven haben die Jugendlichen hier?

Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind minimal. In den Bergen ist die einzige Möglichkeit der Bergbau und die Arbeit in den Minen. Wenn die Jugendlichen weiter unten am Fluss Glück haben, dann arbeiten ihre Familien im Holzgewerbe und sie helfen beim Einschlag von Tropenholz. Wir brauchen Garantien, dass die Jugendlichen ihr Abitur machen und zur Universität gehen können. Außerdem, dass die Studieninhalte mit ihrem Herkunftsgebiet zu tun haben, damit sie zu ihrer Gemeinde am Pazifik zurückkehren können.

Zahlreiche Aktivist*innen haben auf der Karawane die Bedeutung eines humanitären Abkommens hervorgehoben. Was haben Sie diesbezüglich in Yurumanguí erreicht?

Das humanitäre Abkommen hängt damit zusammen, was wir als Gemeinden seit Jahrzehnten vorantreiben: den Versuch der Selbstverwaltung in unserem kollektiven Territorium. Unabhängig von der Präsenz legaler oder illegaler bewaffneter Akteure gehört diese Autonomie zu unserem politischen Selbstverständnis. Oft vergisst man, dass hier auch zivile Personen leben. Wenn ich gefragt werde, ob ich schon mal mit bewaffneten Akteuren gesprochen habe, dann antworte ich: Ja, tausend Mal. Mir bleibt als Aktivistin, die die Rechte der Schwarzen Gemeinden verteidigt, gar keine andere Wahl. Ein humanitäres Abkommen bedeutet für mich vor allem die Garantie des Verbleibs der Gemeinden auf ihrem angestammten Territorium.

Was bedeutet für Sie der kollektive Selbstschutz der Gemeinden?

Vor allem geht es darum, nicht nur die Sprecher*innen oder sichtbare Repräsentant*innen zu schützen, sondern das Kollektiv. Und umgekehrt sind das Kollektiv und das kollektive Gemeindeland der Antrieb unseres Kampfes. Wenn das Risiko für uns darin besteht, auf diesem Territorium zu leben, und dieses Territorium gleichzeitig unsere Existenzberechtigung ist, dann benötige ich von der Regierung weder einen gepanzerten Wagen mit Leibwächter für die Stadt noch eine schutzsichere Weste. Was wir brauchen, sind Garantien vom Staat, hier am Fluss Yurumanguí genau wie unsere Ahnen und Vorfahren leben und überleben zu können.

Wie lautet Ihre Botschaft an die kolumbianische Regierung?

Unsere Botschaft an die Regierung lautet: Es gibt eine Schwarze Gemeinde mit dem Namen Yurumanguí, die sich im Widerstand gegen mechanischen Bergbau und den Drogenanbau befindet. Die Bauern benötigen Alternativen, um ihre Familien ernähren zu können.

Wir benötigen vor allem Unterstützung bei der Gründung von Kleinunternehmen und bei der Vermarktung von Landwirtschaftsprodukten. Wir bauen beispielsweise Süßkartoffeln an und produzieren Mehl, aber uns fehlt der Marktzugang.

Welchen Traum haben Sie für Yurumanguí?

Nun ja, ich träume davon, dass es Hausbauprojekte zur Verbesserung der Lebensqualität gibt. Weiterhin erträume ich, dass die Jugendlichen ihr Abitur oder eine Berufsausbildung in der Region machen können, ohne in die Stadt abwandern zu müssen. Wir stellen uns eine Agraruniversität auf dem Land vor, die westliche Erkenntnisse und unser traditionelles Wissen miteinander verbindet und lehrt.