nd-aktuell.de / 13.05.2022 / Kultur / Seite 1

Von Gorillas und ihren Blind Dates

Drei Bücher erzählen die Geschichte von drei Gorillas in Europäischen Zoos

Helmut Höge
Gorilla Bobby kam 1928 als Zweijähriger in den Berliner Zoo: Karl Kaestner und Gerhard Schroeder bei der Arbeit an der Dermoplastik von Bobby
Gorilla Bobby kam 1928 als Zweijähriger in den Berliner Zoo: Karl Kaestner und Gerhard Schroeder bei der Arbeit an der Dermoplastik von Bobby

»Noch nie ist ein Mitglied des Tierreiches mit größerer Sehnsucht erwartet worden als dieser Gorilla«, schrieb die »Vossische Zeitung« 1876. Es ging um den jungen Gorilla Pongo, den man im Aquarium Unter den Linden ausstellte, wo er die Besuchermassen mit seinem freundlichen Wesen begeisterte. Er hatte 20 000 Reichsmark gekostet. »Auch bedeutende Wissenschaftler wie Rudolf Virchow waren elektrisiert.«

Gorillas galten bis dahin als scheußliche Ungeheuer. Tote Gorillas wurden in den Museen als zähnefletschende Bestien ausgestopft. 1877 lieh man Pongo nach London aus, wo er ebenfalls »Triumphe feierte«. Wieder zurück in Berlin starb er. Eine ausführliche Biografie findet sich in dem Buch »Master Pongo oder ein Gorilla erobert Europa« (2013) des Leipziger Zoo-Historikers Mustafa Haikal.

Der nächste Gorilla [1]hieß Bobby. Er kam 1928 als Zweijähriger in den Berliner Zoo, wo er der Liebling der Besucher wurde. Er starb 1935 und wurde im Naturkundemuseum präpariert: dickbäuchig und gemütlich, fast erheitert das Publikum betrachtend. Er ist immer noch beliebt. 2019 veröffentlichte der Kunsthistoriker Christian Welzbacher seine Biografie »Bobby. Requiem für einen Gorilla«: »Bobby war der erste Gorilla, der in einem europäischen Zoo vom Babyaffen zum Fünf-Zentner-Riesen heranwuchs: eine Sensation, ein Zuschauermagnet, eine Geldmaschine.«

1984 gelangte der Gorilla Fritz in den Zoo, 1963 in Kamerun geboren und als »Wildfang« nach Europa verbracht. Als er im Alter von 55 Jahren starb, hatte er als ältester Gorilla in Europa eine zivilisatorische Tour de Force hinter sich. Im Charlottenburger Zoo blieb er nur ein halbes Jahr bis 1985. Er sollte dort die Gorillaweibchen Fatou und Dufte decken, doch er biss sie – und wurde schleunigst wieder in den Nürnberger Zoo zurückgeschickt.

Es war ein »Blind Date« gewesen, das »Matching« für die drei hatte das europaweit tätige Heiratsinstitut EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) und dort der Stammbuchführer für Gorillas besorgt – im Sinne einer positiven Euthanasie, also der genetischen Fitness. Die soziale und sexuelle Kompetenz steht dort nicht im Verkupplungs-Programm, das inzwischen für die 500 Euro-Gorillas algorithmisch optimiert wurde.

»Dufte war ein Liebling und großer Stolz des Zoos. Sie war die erste Zoogeburt in Berlin und gleichzeitig das erste von der eigenen Mutter aufgezogene Gorillamädchen in Deutschland.« Davor waren in Zoos geborene Gorillakinder meist sofort nach der Geburt von der Mutter getrennt und von Pflegerinnen aufgezogen worden. Die Mutter von Dufte war der »Wildfang« Fatou, die nun mit 65 »die älteste Gorillafrau der Welt« ist und »noch immer in Berlin lebt«, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Jenny von Sperber in ihrer »Biographie eines faszinierenden Menschenaffen: Fritz, der Gorilla« (2022).

Auch dieser Lebenslauf, bis hin zu seinen 24 noch lebenden Nachkommen, die zwischen Japan und Kiew untergekommen sind, ist ein Requiem: Fritz starb 2018, die Autorin hat ihn aber noch gekannt – im Nürnberger Zoo, wo er sie unverwandt anschaute, »die dunklen Augen so menschlich«. Vielleicht war die Tierschützerin Jenny von Sperber ihm seine »Lebensgeschichte«, die nicht schön war, schuldig? Sie rekonstruierte sie vorwiegend mit Erinnerungen von Pflegerinnen, Oberpflegern, Zoodirektoren, Zookuratoren, der EEP und gorillaaffinen Zoostammgästen; und manches musste sie deduzieren, vor allem die kurze Zeit seines Kameruner Lebens in Freiheit. In Europa brachte man ihm den aufrechten Gang bei und seinen Brei manierlich mit dem Löffel zu essen sowie beim Niesen die Hand vor den Mund zu halten.

Aber die Zeiten haben sich laut von Sperber verändert und mit ihnen die Zoos, vor allem die Haltung von Menschenaffen (unter anderem nicht mehr in »Kachelkäfigen«). Die Humanisten würden ihnen gerne auch noch Menschenrechte zugestehen. Gleichzeitig dürfen die Pfleger aber nicht mehr in die Gehege der Gorillas gehen, es müssen immer Gitter zwischen ihnen sein.

Fritz lebte bis zuletzt zusammen mit vier Gorillaweibchen, mit denen er schon lange keine Kinder für die »Erhaltungszucht« mehr zeugte. Aber »wir können ihn nicht separieren und in den Käfig nebenan einen jungen Silberrücken mit seinen Frauen setzen. Das ist Terror, das hat er nicht verdient«, meinte seine Pflegerin Ramona Such in der Futterküche zur Autorin, »und alle Affenpfleger nickten dazu«.

Dort hingekommen war Fritz via Nizza und den Münchner Zoo[2], da war er drei Jahre alt und von Entführung und Transport traumatisiert. »In diesem Alter hätte er zu Hause im Dschungel noch mit seiner Mutter das Schlafnest geteilt.« In München, wo man schon ein junges Männchen, Porgy, und ein junges Weibchen, Bess, besaß, hatte man ein zweites Weibchen bestellt, stattdessen kam Fritz. Bess nahm den eingeschüchterten Neuzugang nicht ernst. »Fritz kam mir vor wie ein trauriges gemobbtes Kindergartenkind«, erzählte seine Pflegerin Bärbel Graf, die ihm »noch Frühstück, Mittagessen und Abendessen« servierte – inzwischen richtet man sich mehr nach den Essrhytmen der Gorillas.

Ende 1970 gaben die Münchner den siebenjährigen Fritz an den Nürnberger Zoo ab, für 32 000 DM: »Der passt zu den Nürnbergern«, meinte der damalige Zoodirektor Lutz Heck. Fortan kümmerte sich dort Willi Stillhammer um ihn. Er kam zu zwei Gorillaweibchen aus Gelsenkirchen: Delphi und Liane. Letztere starb schon sieben Jahre später. Aber Delphi sollte über 30 Jahre lang Fritz’ Partnerin bleiben. Er zeugte jedes Jahr ein Kind mit ihnen, die Willi Stillhammer und seine Frau zu Hause aufzogen. »Die Zoomitarbeiter wussten nicht, dass sie einen Fehler machten«, indem sie den Müttern ihre Kinder wegnahmen: Diese »sehen sich später weder als Mensch noch als Affe«.

Fritz’ erstes Kind Schorsch lebt heute noch – als »erblindeter Greis auf Teneriffa mit eigenem Außengehege«. Der Fritz-Sohn Gori kam über diverse englische Zoos in den japanischen Inuyama Monkey Park, wo man zu Forschungszwecken alle möglichen Affenarten hält. Das härteste Schicksal hatte der Fritz-Sohn Toni: Er kam in die Zoos von Hannover und Saarbrücken, zeugte dort jedoch keinen Nachwuchs. Mit 25 Jahren schob man den »non-breeder« aufs Abstellgleis: nach Kiew – in eine dunkle Betonzelle. Dort sah ihn ein deutscher Ingenieur – und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Tonis Leben zu verbessern. Er spendete Spielzeug, Geld und gewann die amerikanische Ehefrau des Bürgermeisters Vitali Klitschko, die für viel Geld eine neue großzügige Anlage für Toni bauen ließ. Weitere Lebenserleichterungen für ihn verhinderte der Krieg.

2021 feierte man dort seinen 45. Geburtstag. Ende Februar 2022 schrieb der Geschäftsführer des Zoos Kyrylo Trantino in einer Rundmail: »Während der nächtlichen Schlacht gab es keine direkten Treffer auf dem Gelände des Zoos, die Mitarbeiter waren in vorbereiteten Bombenunterkünften.«

Jenny von Sperber: »Fritz, der Gorilla: Biografie eines faszinierenden Menschenaffen«, S. Hirzel Verlag, ‎228 Seiten, geb., 20 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162052.gorilla-safari-in-uganda-allein-im-wald-der-grossen-affen.html?sstr=Gorilla
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155799.berliner-zoo-pleitegeier-ueber-dem-affengehege.html?sstr=Berliner Zoo