nd-aktuell.de / 24.05.2022 / Reise / Seite 1

Wale, Weine, Wasserfälle

Die zu Portugal gehörende Inselgruppe punktet mit Walbeobachtung und Canyoning

Geraldine Friedrich
Wasserfall im Naturpark Ribeira dos Caldeirões
Wasserfall im Naturpark Ribeira dos Caldeirões

Marica Micallef und Paulo Medeiros strahlen. Beide sind Profis in Sachen Canyoning im Naturpark Ribeira dos Caldeirões im Norden der Azoren-Insel São Miguel. Die fünf Novizen, die sich mit ihrer Hilfe erstmals in Canyoning versuchen wollen, schauen dagegen skeptisch. Denn unter Canyoning versteht man das Begehen einer Schlucht von oben nach unten, und zwar durch Springen, Abseilen, Rutschen oder Tauchen. Canyoning zählt zu den Attraktionen auf São Miguel. Die Insel bildet mit Santa Maria die östliche Gruppe der insgesamt neun Azoren-Inseln.

Die erste Herausforderung besteht allerdings darin, sich in eine Wurstpelle, Wetsuit genannt, zu zwängen. Nachdem die Gruppe anschließend in voller Montur 45 Minuten bergan samt Klettergeschirr und Helm marschiert ist, steht eines zumindest fest: Eine Abkühlung wäre jetzt gar nicht schlecht.

Der erste Wasserfall steht an, und es folgt das, was Freibadbesucher von Sprungtürmen kennen: Von unten sehen fünf Meter läppisch aus, von oben wirken Wasserfall und Höhe geradezu monströs. »Da seilen wir uns jetzt ab«, erklärt Marica. Zusammen mit Paulo versucht die passionierte Kletterin, die übrigens aus Malta stammt und fünf Jahre als Flugzugmechanikerin in der Schweiz gearbeitet hat, bei ihren Schützlingen Begeisterung auszulösen. Sie klettert vorneweg die Felsen neben dem Wasserfall hinab und sichert von unten, Paulo, studierter Mathematiker und gebürtiger Azoreaner, sichert von oben. Wer wagt sich als Erster? Vier von fünf können sich überwinden, eine entscheidet sich, zu Fuß hinabzugehen zur nächsten Station, einer Felsenrutsche.

Felsenrutsche? Die ist im Vergleich zur Wasserfall-Abseil-Aktion Kindergarten, denn man rutscht einfach einen schrägen, flach geschliffenen Felsen im Bach hinab auf die nächste Ebene und plumpst ins kühle Nass. Danach folgt eine kurze Kletterepisode, die diesmal mit einem Sprung ins Wasser aus drei Meter Höhe endet. Zum Abschluss führt Paulo die Gruppe zur finalen Mutprobe: ein Sprung aus sieben Meter Höhe in ein tiefes Flussbecken. Marica springt voran. Als Bonus gibt es Zuschauer, die gegenüber auf einer Aussichtsplattform ihre Kameras zücken. Fazit: Canyoning ist cool. Gut abgekühlt ist man danach in jedem Fall – und auch ein wenig stolz.

Wer solche Adrenalin-Aktivitäten nicht mag, findet auf São Miguel, der Hauptinsel der Azoren, natürlich auch entspannten Wassersport. Nur 30 Autominuten vom Naturpark Ribeira dos Caldeirões entfernt liegt der wunderschöne Park Terra Nostra mit exotischen Bäumen und einem großen Thermalbecken. Das Wasser darin ist 38 Grad warm und, wie eine Besucherin es ausdrückt, »braun wie der Ganges«. Das Motto: einfach treiben lassen, danach aber kalt abduschen, um den Ganges abzuspülen.

An der Südküste São Miguels, in Vila Franca do Campo, bestehen gute Aussichten, Wale zu sehen. Die Stadt liegt 30 Kilometer östlich von Ponta Delgada, der größten Stadt auf São Miguel und dem Ankunftsflughafen. Mit PS-starken Zodiacs können Besucher den größten Säugetieren des Meeres nahe kommen: Besonders häufig in der Region sind Buckelwale, Seiwale, der Gemeine Delfin und der Zügeldelfin. »Eine Whalewatching-Tour ist kein Menü, bei dem man sich die Wale aussucht«, erklärt Aurora Crucianelli, Meeresbiologin aus Belgien und Walbeobachterin beim Veranstalter Terra Azul. Schwertwale (Orcas) gehören denn auch eher zu den »Jackpot-Walen«, wie es Crucianelli im Briefing vor der Tour formuliert: »Sie können da sein – oder auch nicht.«

Draußen auf offener See lassen die ersten Zügeldelfine nicht lange auf sich warten: Rechts und links des Bootes tauchen sie plötzlich in kleinen Gruppen auf. Sie springen filmreif parallel zum Zodiac, liefern sich ein kleines Rennen mit dem Boot und betrachten das Ganze als Spiel. Die rund 25 Insassen, darunter zwei Kinder, reagieren allesamt entzückt. Später gesellen sich Gemeine Delfine zum Boot, die auch Laien gut an ihrem weißen, manchmal gold schimmernden Bauch erkennen. Auch Buckelwale lassen sich blicken, wenn auch weiter entfernt.

Eine Garantie, bestimmte Arten oder überhaupt Wale und Delfine zu sehen, gibt es logischerweise nicht. Zudem gelten für die Annäherung an die Tiere Regeln. Eine davon ist, dass der Bootsführer das Tempo drosselt, sobald Tiere in der Nähe des Schnellboots auftauchen. Eine andere, dass man sich den Tieren nicht frontal nähert.

Heute schützen die Azoreaner die Tiere. Dass das nicht immer so war, zeigt das Walfang-Museum in Lajes auf Pico. Die Insel Pico, die dem Vulkan Pico (2351 Meter) ihren Namen verdankt, zeigt sich im Vergleich zu São Miguel ursprünglicher, deutlich weniger touristisch und liegt 250 Kilometer westlich von São Miguel. Aus heutiger Perspektive wirkt das Abschlachten der Wale nur grausam. Die Ausstellung über den Walfang vermittelt aber auch, dass das Jagen und Verwerten der Meeressäuger für die Inselbewohner einst eine wichtige Einnahmequelle darstellte und ein beinharter Job war.

Heute sucht so mancher Tourist auf den abgelegenen Atlantik-Inseln den Adrenalin-Kick. Für Einheimische war der Überlebenskampf stets aufregend genug.