nd-aktuell.de / 04.09.2025 / Politik

»Netzwerke des Widerstands und der Solidarität«

Die Umweltbewegung »Aufstände der Erde« kämpft gegen Bauprojekte, Macron und die extreme Rechte

Interview: Raul Zelik
Protest der Soulèvements de la Terre gegen den Milliardär und rechtsextremen Medien-Eigentümer Vincent Bolloré.
Protest der Soulèvements de la Terre gegen den Milliardär und rechtsextremen Medien-Eigentümer Vincent Bolloré.

Als Antwort auf die angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung Bayrou soll in Frankreich am 10. September »alles blockiert«[1] werden. Wie ist diese Initiative entstanden?

Ester: Es ist nicht wirklich klar, von wo die Mobilisierung ausgegangen ist. Der Aufruf wurde in sozialen Medien veröffentlicht und ist sehr schnell breit aufgegriffen worden. Parteien und Gewerkschaften spielten dabei keine Rolle.

Rosa: Es ist ein wenig wie bei den Protesten der Gelbwesten 2018/2019[2]. Bloquons Tout ist eine unabhängige Initiative, die sich kein Etikett verpassen lassen möchte. Unsere Bewegung Soulèvements de la Terre organisiert die Proteste deshalb auch nicht, sondern ruft zur Solidarität auf.

Aber es ist mehr als ein Aufruf in sozialen Medien?

Ester: Mittlerweile gibt es Vorbereitungsversammlungen in zahlreichen Städten. Allein in Nanterre haben sich 500 Personen beteiligt.

»Die Spaltung zwischen sozialen und ökologischen Forderungen erscheint uns völlig künstlich. Soziale Ungleichheit ist einer der treibenden Faktoren der Umweltzerstörung.«

Rosa  Soulévements de la Terre

Soulevements de la Terre[3] ist als Öko-Bewegung entstanden. Stärker als andere Umweltgruppen thematisieren Sie allerdings auch Klassenfragen: vor allem den Widerspruch zwischen Kleinbauern und der Agrarindustrie.

Rosa: Die Spaltung zwischen sozialen und ökologischen Forderungen erscheint uns völlig künstlich. Soziale Ungleichheit ist einer der treibenden Faktoren der Zerstörung lebender Umwelt.

Ester: Und der Extraktivismus, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, ist das Wesen des Kapitalismus. Seine Gewalt richtet sich ja nicht nur gegen die Umwelt, sondern auch gegen die Menschen, die in dieser extraktiven Kette arbeiten. Bei den Kämpfen der Kleinbäuer*innen geht es darum, ihre Lebensweise gegen das extraktive, industrielle Modell zu verteidigen. Außerdem haben wir als ökologisch-kleinbäuerliche Bewegung auch Aktionen mit den Beschäftigten in Logistik-Centern oder mit migrantischen Bauarbeitern gegen den Zementhersteller Lafarge organisiert. Für uns geht es immer darum, Allianzen zu schmieden und uns vor Ort zu verankern. Nur daraus entsteht Gegenmacht.

Zentral für Sie war der Kampf gegen große Wasserspeicher,[4] mit denen die industrielle Landwirtschaft auf Kosten von Anwohnern und Natur ihre Erträge trotz Klimawandel sichern will. Aber das war nicht das einzige Ziel Ihrer Kampagnen.

Rosa: Welche Aktionen wir uns vornehmen, hängt von den Menschen in den jeweiligen Territorien ab. Wenn es Orte gibt, wo der Zementhersteller Lafarge oder ein Unternehmen, das Land-Grabbing betreibt, für die Leute das zentrale Problem sind, dann richten sich unsere Aktionen gegen diese Firmen. Bei uns gibt es keinen Master-Plan. Die Mobilisierungsziele hängen von konkreten Vorschlägen auf den Versammlungen ab.

Ester: Die Ziele verschieben sich auch aufgrund der Politik. Wir beobachten, dass sich die Regierung immer häufiger über gesetzliche Regelungen und Beschränkungen hinwegsetzt. Deshalb ist die Mobilisierung am 10. September für uns auch so wichtig. Oder die Kampagne gegen den Milliardär Vincent Bolloré, der Unternehmens-Chef und Eigentümer großer Medien ist, die extreme Rechte unterstützt und ein agrarindustrielles Modell befürwortet. Als Bewegung sehen wir, dass wir in Anbetracht der Lage antifaschistischer werden und uns enger mit sozialen Kämpfen verbinden müssen.

Die Regierung Bayrou wird nächste Woche vermutlich stürzen. Wie gehen Sie mit dem Dilemma um, dass das der extremen Rechten in die Hände spielen könnte?

Ester: Wir beobachten schon seit Jahren eine wachsende Bereitschaft der Regierung, Proteste repressiv niederzuschlagen und Bewegungen als terroristisch zu brandmarken. Soulèvements sollte ja bereits verboten werden. Das würde sich unter dem Rassemblement National sicher noch beschleunigen, und deshalb müssen wir die extreme Rechte stoppen. Aber das geht nur mit Kämpfen, aus denen Netzwerke des Widerstands und der Solidarität entstehen.

Bei den Gelbwesten und vermutlich auch bei Bauernprotesten gibt es natürlich auch rechte Positionen. Wo setzen Sie Grenzen bei der Zusammenarbeit?

Ester: Es gibt Studien, die nahelegen, dass sich rechtsextreme Überzeugungen nicht durch Mobilisierungen auf der Straße, sondern nur durch Sozialkontakte im Alltag aufbrechen lassen. Das ist es, was wir uns vornehmen: Mit den Menschen im Territorium etwas entwickeln. Gemeinschaft und Solidarität – das ist, was zählt. Das Interessante an unserer Bewegung ist, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen. Studierende, Bäuer*innen, Rentner*innen.

Rosa: Bei den Gelbwesten hat man gesehen, dass das der einzige Weg ist. An einigen wenigen Orten war die Rechte so präsent, dass man mit linken Positionen nicht mehr durchgedrungen ist. Aber an anderen Orten konnten Fragen wie Selbstverwaltung und die lokale Produktion von Lebensmitteln in den Mittelpunkt gestellt werden. Wir glauben, dass wir uns diesen Protestbewegungen stellen müssen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193789.haushaltskuerzungen-in-frankreich-blockieren-wir-alles.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1128682.gelbwesten-was-haben-sie-denn-vorzuweisen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183947.wasserkaempfe-les-soulevements-de-la-terre-der-fluch-von-sainte-soline.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180737.klimagerechtigkeitsbewegung-kapitalismus-entwaffnen-lernen-von-soulevements-de-la-terre.html