nd-aktuell.de / 15.11.2008 / Kommentare / Seite 1

Gastkolumne

Kuriose Legenden

Willi van Ooyen
Der langjährige Friedensaktivist (61) ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im hessischen Landtag.
Der langjährige Friedensaktivist (61) ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im hessischen Landtag.

Koch muss weg! Für soziale Gerechtigkeit, für gute Bildung, für eine Energiewende. Das schien in Hessen die gemeinsame Überschrift zu sein, unter der SPD, Grüne und LINKE einen neuen Weg zu gehen bereit waren. Am Ende zeigte sich: Die einzige Partei, die aus innerer Überzeugung für dieses Projekt einstand und für dessen Umsetzung warb, war die LINKE. Selbst nach Abschluss des Koalitionsvertrages verzichteten die Grünen seltsamerweise darauf, für dieses Projekt die Werbetrommel zu rühren. Und zur Zerissenheit der SPD – besser gesagt: der zwei Parteien innerhalb der SPD – muss man an dieser Stelle nichts weiter sagen.

Bemerkenswert und in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend ausgeblendet: Im Nachgang der Ereignisse versuchen die vier SPD-Abweichler, eine kuriose Legendenbildung zu betreiben. lhr Beschluss – so die Darstellung von Dagmar Metzger, Carmen Everts, Jürgen Walter und Silke Tesch – sei eine Gewissensentscheidung gewesen; notwendig, weil die SPD-Führung unter Andrea Ypsilanti alle Warnungen vor dem vermeintlich gefährlichen Einfluss der LINKEN ignoriert habe.

Zweifelsfrei trägt die hessische SPD-Spitze eine Mitverantwortung dafür, wenn Verabredungen und Zusagen letztlich wertlos sind und in ein Desaster münden. Richtig ist aber auch, dass es im Sommer dieses Jahres ein Treffen zwischen Andrea Ypsilanti, Jürgen Walter und Carmen Everts gab. Walter und Everts waren zu diesem Zeitpunkt Sprecher der dem rechten SPD-Flügel zugehörigen »Aufwärts-Gruppe«. Bei diesem Treffen sicherten die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Ypsilanti nicht nur zu, die Abwahl Roland Kochs (CDU) nicht länger zu blockieren. Sie erklärten außerdem, dass sie bereit seien, eine aktive Rolle zu übernehmen, um die von einer Mehrheit der Hessinnen und Hesen bei der Wahl im Januar 2008 gewollte Abwahl Kochs (CDU) zu ermöglichen.

Everts erarbeitete einen Kriterienkatalog, anhand dessen die SPD-Fraktion überprüfen sollte, ob sich die LINKE z. B. zur Verfassung bekenne – was die LINKE ausdrücklich und u. a. unter Hinweis auf das darin zu findende Sozialstaatsgebot bereits mehrfach getan hatte. Auch andere Kriterien für »Verlässlichkeit« wurden aufgestellt, was aus heutiger Sicht nur noch unfreiwillig komisch wirkt. Inzwischen wissen wir, dass es sich um ein doppeltes Spiel handelte. Man wollte einen Politikwechsel unter Einschluss der LINKEN platzen lassen – und den Schwarzen Peter dann der LINKEN zuschieben. Aus ihrer Meinung, dass in Hessen eine Große Koalition ihr Wunschergebnis gewesen wäre, machen Metzger, Walter, Everts und Tesch mittlerweile keinen Hehl mehr.

Für die Menschen in Hessen bedeutet das Scheitern des einst von drei Parteien (SPD, Grüne und LINKE) gegebenen Wahlversprechens »Koch muss weg«, dass der Weg hin zu den eingangs genannten Zielen von rechten SPD-Abgeordneten mutwillig verbaut wurde. Wieder einmal hat sich gezeigt: Links blinken und rechts abbiegen gehört zu den leichtesten Übungen von Vertreterinnen und Vertretern der SPD. Ob von der SPD gegebene Versprechen, für einen Politikwechsel zu sorgen, für lange Zeit wertlos sind, ist derzeit eine offene Frage.