Gastkolumne

Kuriose Legenden

  • Willi van Ooyen
  • Lesedauer: 3 Min.
Der langjährige Friedensaktivist (61) ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im hessischen Landtag.
Der langjährige Friedensaktivist (61) ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im hessischen Landtag.

Koch muss weg! Für soziale Gerechtigkeit, für gute Bildung, für eine Energiewende. Das schien in Hessen die gemeinsame Überschrift zu sein, unter der SPD, Grüne und LINKE einen neuen Weg zu gehen bereit waren. Am Ende zeigte sich: Die einzige Partei, die aus innerer Überzeugung für dieses Projekt einstand und für dessen Umsetzung warb, war die LINKE. Selbst nach Abschluss des Koalitionsvertrages verzichteten die Grünen seltsamerweise darauf, für dieses Projekt die Werbetrommel zu rühren. Und zur Zerissenheit der SPD – besser gesagt: der zwei Parteien innerhalb der SPD – muss man an dieser Stelle nichts weiter sagen.

Bemerkenswert und in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend ausgeblendet: Im Nachgang der Ereignisse versuchen die vier SPD-Abweichler, eine kuriose Legendenbildung zu betreiben. lhr Beschluss – so die Darstellung von Dagmar Metzger, Carmen Everts, Jürgen Walter und Silke Tesch – sei eine Gewissensentscheidung gewesen; notwendig, weil die SPD-Führung unter Andrea Ypsilanti alle Warnungen vor dem vermeintlich gefährlichen Einfluss der LINKEN ignoriert habe.

Zweifelsfrei trägt die hessische SPD-Spitze eine Mitverantwortung dafür, wenn Verabredungen und Zusagen letztlich wertlos sind und in ein Desaster münden. Richtig ist aber auch, dass es im Sommer dieses Jahres ein Treffen zwischen Andrea Ypsilanti, Jürgen Walter und Carmen Everts gab. Walter und Everts waren zu diesem Zeitpunkt Sprecher der dem rechten SPD-Flügel zugehörigen »Aufwärts-Gruppe«. Bei diesem Treffen sicherten die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Ypsilanti nicht nur zu, die Abwahl Roland Kochs (CDU) nicht länger zu blockieren. Sie erklärten außerdem, dass sie bereit seien, eine aktive Rolle zu übernehmen, um die von einer Mehrheit der Hessinnen und Hesen bei der Wahl im Januar 2008 gewollte Abwahl Kochs (CDU) zu ermöglichen.

Everts erarbeitete einen Kriterienkatalog, anhand dessen die SPD-Fraktion überprüfen sollte, ob sich die LINKE z. B. zur Verfassung bekenne – was die LINKE ausdrücklich und u. a. unter Hinweis auf das darin zu findende Sozialstaatsgebot bereits mehrfach getan hatte. Auch andere Kriterien für »Verlässlichkeit« wurden aufgestellt, was aus heutiger Sicht nur noch unfreiwillig komisch wirkt. Inzwischen wissen wir, dass es sich um ein doppeltes Spiel handelte. Man wollte einen Politikwechsel unter Einschluss der LINKEN platzen lassen – und den Schwarzen Peter dann der LINKEN zuschieben. Aus ihrer Meinung, dass in Hessen eine Große Koalition ihr Wunschergebnis gewesen wäre, machen Metzger, Walter, Everts und Tesch mittlerweile keinen Hehl mehr.

Für die Menschen in Hessen bedeutet das Scheitern des einst von drei Parteien (SPD, Grüne und LINKE) gegebenen Wahlversprechens »Koch muss weg«, dass der Weg hin zu den eingangs genannten Zielen von rechten SPD-Abgeordneten mutwillig verbaut wurde. Wieder einmal hat sich gezeigt: Links blinken und rechts abbiegen gehört zu den leichtesten Übungen von Vertreterinnen und Vertretern der SPD. Ob von der SPD gegebene Versprechen, für einen Politikwechsel zu sorgen, für lange Zeit wertlos sind, ist derzeit eine offene Frage.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal