Der Andrang ist groß. Schon zwei Wochen vor der heutigen Auftaktpartie der 47. Bundesligaspielzeit, in der Meister Wolfsburg am Abend den VfB Stuttgart empfängt, machte man in der Geschäftsstelle der »Wölfe« die Schotten dicht. Der Dauerkartenvorverkauf musste beendet werden, um noch Restkarten an den Spieltagen verkaufen zu können. 21 500 wollen künftig bei jedem Spiel der Niedersachsen dabei sein, 3000 mehr als in der Vorsaison. Beim offensiv zaubernden Titelverteidiger ist das gestiegene Interesse wenig überraschend – anders als bei vielen anderen Klubs wie dem 1. FC Nürnberg. Der Aufsteiger aus Franken, der um den Klassenverbleib kämpfen wird, setzte 28 000 Dauerkarten ab, ebenfalls Vereinsrekord.
Den Präsidenten der Deutschen Fußball-Liga (DFL) wundert das nicht. Die Bundesliga biete »Spannung pur bis zum letzten Spieltag«, sagt Reinhard Rauball. Das hat vor allem die letzte Spielzeit gezeigt. Auf einen Meister Wolfsburg hätte nach Platz neun zur Winterpause wohl kaum einer gesetzt. Ganz anders als in Spanien, Italien oder England, wo die Dominanz von jeweils nur drei, vier Klubs die Fans der restlichen Beteiligten eher langweilt und sie vermehrt von Stadionbesuchen abhält. Die Bundesliga hingegen steuert wieder einmal auf einen neuen Zuschauerrekord zu – den achten in Folge.
Die Bundesligisten haben ihr Übriges für eine bunte und attraktive neue Saison getan. Rund 179 Millionen Euro haben die Vereine in der Sommerpause in neue Spieler investiert. Knapp vier Wochen vor Ende der Transferperiode ist die zwei Jahre alte Rekordsumme von 171 Millionen Euro damit schon übertroffen. Allein Rekordmeister Bayern München überwies mehr als 50 Millionen Euro für neue Spieler. Mehrere Millionen investierten auch der Hamburger SV, Werder Bremen und der VfB Stuttgart, der kurz vor dem heutigen Auftakt den russischen Nationalspieler Pawel Progrebnjak verpflichtete.
Trotz fehlender Weltstars hält Meistertrainer Felix Magath, der nach finanziell rosigen Wolfsburger Jahren in dieser Saison bei den klammer aufgestellten Schalkern auf namhaftes neues Personal verzichten musste, die Liga angesichts voller Stadien und vernünftigem Wirtschaften der Klubs für »die stärkste der Welt«. Und auch Ligapräsident Rauball fragt bei wachsendem Interesse vor Saisonstart zu Recht, wer schon einen Ronaldo bräuchte. Allein für die Finanzierung der Verpflichtung des portugiesischen Fußballstars samt Gehalt und Versicherung musste der spanische Rekordmeister Real Madrid einen Kredit von mehr als 150 Millionen Euro aufnehmen.
Die DFL will auch ihren Beitrag leisten und geht in ihrer Vermarktung neue Wege. Dazu hat sie den Spieltag aufgesplittet (siehe rechte Spalte). Mit mehr Spielen zu verschiedenen Zeiten sind die Fernsehanstalten bereit, mehr Geld zu zahlen. Durch die Ausweitung der TV-Vermarktung, auch auf internationalem Markt, will die DFL in den nächsten sechs Jahren insgesamt 3,45 Milliarden Euro einnehmen. Etwa 412 Millionen Euro sollen pro Saison unter den 36 Vereinen des Ligaverbandes aufgeteilt werden. Das ist weniger als in anderen großen europäischen Spitzenligen. Das Besondere hierzulande ist, dass die Kuchenstücke unter den deutschen Profivereinen relativ gleichmäßig verteilt werden. Aus dem Topf der TV-Gelder erhält der Meister etwas mehr als doppelt so viel wie Klubs aus dem Tabellenkeller der ersten Liga. Die Verteilung ist damit viel solidarischer als in anderen Ligen. In Spanien oder England, wo die Klubs ihre Spiele selbst vermarkten, liegt das Verhältnis der Einnahmen von Spitzenreitern zu den Tabellenschlusslichtern bei etwa zehn zu eins, manchmal noch höher.
Aber auch in der Bundesliga hat die Mehr-Klassen-Gesellschaft bereits Einzug gehalten. Um die Schere nicht noch größer werden zu lassen, fordern einige Klubs deshalb von der DFL die Öffnung für neue Investoren. Laut anonymer Umfrage des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young rechnet mehr als die Hälfte der befragten Manager der 1. und 2. Bundesliga mit einer wirtschaftlich schlechteren Saison. Ein Drittel schrieb nach eigenen Angaben bereits in der vergangenen Spielzeit rote Zahlen.
Von ernsthaften Problemen und etwaigen Insolvenzen sehen sich die Manager der Erstligisten aber nicht bedroht. Dank Interessenzulauf und ausgeweiteter Medienpräsenz bleibt die Liga weiterhin ein attraktives Werbefeld für Sponsoren. So hat etwa die Trikotwerbung mit Erlösen von mehr als 130 Millionen Euro für die 18 Vereine ebenfalls eine neue Bestmarke erreicht. Drei Viertel der Klubs glauben deshalb bei entsprechenden Kostenreduzierungen im eigenen Verwaltungsapparat an eine deutliche Verbesserung und einen erneuten Anstieg der Gewinne in den nächsten Jahren. Und das obwohl die positive Entwicklung ein Ende haben muss – mehr Zuschauer- und Kartenverkaufsrekorde gehen irgendwann nicht mehr.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/153547.wer-braucht-schon-ronaldo.html