nd-aktuell.de / 06.09.2010 / Kultur / Seite 15

MOSEKUNDS MONTAG

SEELSORGE

Wolfgang Hübner
Herr Mosekund entdeckte auf einer Parkbark einen Bekannten, der reglos, glückselig und zugleich etwas blöd in die Natur glotzte. »Geht es Ihnen gut?« fragte Herr Mosekund leicht besorgt. »Ausgezeichnet sogar«, antwortete der Bekannte, »ich lasse gerade meine Seele baumeln. Wunderbar!« – »Oh«, sagte Herr Mosekund mit sofort erwachendem Interesse, »was muss man da tun?« – »Es ist ganz einfach«, erwiderte der Bekannte, »Sie sitzen nur da, tun nichts und – besonders wichtig – denken an nichts.« Das lohnt einen Versuch, sagte sich Herr Mosekund wagemutig. Er hatte sich allerdings kaum gesetzt, als er schon spürte, wie sich die Gedanken kreuz und quer durch seinen Kopf wälzten. Er mühte sich, ihnen zu entfliehen, auszuweichen, sich vor ihnen zu verstecken. Aber sie lauerten überall. Es war eine Tortur. Nach einigen verzweifelten Minuten sprang Herr Mosekund auf, eilte nach Hause und entspannte sich bei Kants »Kritik der reinen Vernunft«.