nd-aktuell.de / 18.10.2011 / Kultur / Seite 16

MOSEKUNDS MESSE

EIN BUCH - DER WORTE

Wolfgang Hübner
Herr Mosekund wollte einem Freund zu dessen Geburtstag ausführlich und erschöpfend für alles danken und zu diesem Zweck auf der Feier eine Rede halten. Je länger er aber darüber nachdachte, desto größer wurde seine Befürchtung, er könne sich verhaspeln oder sogar wichtige Aspekte vergessen. Deshalb entschloss sich Herr Mosekund, alles aufzuschreiben. Etliche Tage, ach was - Wochen saß er am Schreibtisch und füllte Seite um Seite in einem großen, dicken Notizbuch. Als der Foliant komplett beschriftet war, war alles gesagt. Am Geburtstag überreichte Herr Mosekund das Werk dem Freund, der sich tief gerührt zeigte. »Eine enorme Arbeit«, sagte er, Herrn Mosekunds Fleiß bewundernd. »Es war die reine Bequemlichkeit«, wehrte Herr Mosekund ab. »Sie wissen doch: Ein Buch sagt mehr als tausend Worte.«

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WORK IN PROGRESS

Herr Mosekund besuchte eine Veranstaltung, auf der ein Schriftsteller, den er verehrte, mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Nach Laudatio und Dankesrede wurde angekündigt, dass der Meister jetzt noch eine Kostprobe seines Schaffens geben werde. Ein Tisch wurde hereingetragen, darauf eine Schreibmaschine. Dazu ein Stuhl. Der Künstler setzte sich, spannte ein Blatt Papier ein, schloss fünf Minuten lang die Augen und begann schließlich zu tippen. Dann und wann legte er eine Pause ein, ächzte ein wenig, trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, tippte weiter. Nach einer halben Stunde sprang er abrupt auf, starrte entgeistert auf das Blatt, riss es aus der Maschine, zerfetzte es in Dutzende Schnipsel und verließ mit einem Fluch die Bühne. Schade, dachte Herr Mosekund, ich hätte ihm noch stundenlang zuschauen können.

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GANZ OHNE GEWALT

Herr Mosekund hatte aus seiner Bibliothek für einen wissbegierigen Nachbarn einen kleinen Bildungskanon zusammengestellt. Nach einiger Zeit fragte er, ob unter den Büchern etwas Lehrreiches zu finden war. »Morgen sattle ich das Potjomkinsche Pferd, galoppiere ins trojanische Dorf, zücke das Heraklesschwert und zerhacke damit den gordischen Kreideknoten!«, rief der Nachbar entschlossen. »Oh«, sagte Herr Mosekund, »ich sehe, Sie haben fleißig gelesen. Aber war es nicht womöglich eher ein kaukasischer ...« - »Mag sein«, so der Nachbar, »dort wird ja auch viel geritten.« - »Apropos Pferd«, wandte Herr Mosekund ein, »ich meine mich zu entsinnen, dass es sich um ein trojanisches handelte.« - »Auf jeden Fall ein Huftier«, erwiderte der Nachbar. Herr Mosekund nickte. »Noch ein Wort zum Schwert ...« - »Sie mit Ihrer Besserwisserei«, entrüstete sich der Nachbar, »da platzt einem ja der ... der ...« - »Knoten?« fragte Herr Mosekund. »Genau!« rief der Nachbar. »Sehen Sie«, sagte Herr Mosekund, »wir schaffen das ganz ohne Ihr fabelhaftes Wunderschwert!«