nd-aktuell.de / 04.05.2012 / Politik / Seite 4

Heldenepos

Chen Guangcheng / Der chinesische Menschenrechtsaktivist, will Asyl in den USA

Jenny Becker

Wann immer derzeit über das Treffen zwischen China und den USA in Peking geredet wird, fällt auch sein Name. Chen Guangcheng lenkt die internationale Aufmerksamkeit einmal mehr auf die Menschenrechtslage in China. Die Ereignisse der letzten Tage erinnern ein wenig an ein Heldenepos, mindestens aber an einen Hollywoodfilm. Der chinesische Bürgerrechtler - seit dem Kindesalter blind - entwischt seinen Schergen aus dem streng bewachten Hausarrest. Erst versteckt er sich tagelang in der US-Botschaft, jetzt will er am liebsten mit Hillary Clintons Flugzeug in die USA ausreisen und so den Repressalien der chinesischen Regierung entkommen.

Ein Held ist der 40-Jährige schon lange. Jahrelang setzte er sich gegen Ungerechtigkeit in seiner Region Shandong und die rigide Einkindpolitik ein - und nahm dabei den Zorn der Regierung, Gewaltanwendungen und vier Jahre Haft in Kauf. Als in seiner Provinz Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen durchgeführt wurden, war er der Einzige, der sich traute, im Namen der Betroffenen Klage einzureichen. Das renommierte US-Magazin »Time« wählte ihn dafür 2006 unter die hundert einflussreichsten Menschen der Welt - in der Kategorie »Helden und Pioniere«. »Jemand muss für die Menschen kämpfen, die keine Stimme haben«, wurde Chen damals zitiert. »Ich schätze, dieser jemand bin ich.«

Eine Zulassung als Anwalt hat er nicht. Er ist ein »Barfuß«-Anwalt - so werden in China autodidaktische Juristen bezeichnet, die sich für Menschenrechte einsetzen. Seine Jurakenntnisse lernte er an einer Blindenschule, seine Brüder lasen ihm Gesetzestexte vor. Prägend waren aber auch die Geschichten, die er von seinem Vater hörte. Es waren Erzählungen von mutigen Menschen, die gegen böse Beamte kämpften, um Unterdrückten zu helfen. 20 Monate lang wurde Chen mit seiner Familie im Hausarrest selbst unterdrückt und misshandelt. Letztes Jahr zeigten viele in sozialen Netzwerken ihre Solidarität mit Chen, indem sie auf ihren Profilseiten Sonnenbrillen aufsetzten. Jetzt bleibt zu hoffen, dass das Heldenepos ein Happy End bekommt.