nd-aktuell.de / 09.06.2012 / Brandenburg / Seite 13
Stöß ist neuer SPD-Landeschef
Langjähriger Vorsitzender Müller unterliegt seinem Herausforderer in Kampfabstimmung
Martin Kröger
Die Berliner SPD hat einen neuen Landesvorsitzenden. In einer Kampfabstimmung setzte sich am Sonnabendnachmittag im Hotel Estrel in Berlin-Neukölln der 38-jährige Herausforderer Jan Stöß gegen den bisherigen Vorsitzenden Michael Müller, 47, durch. Von 225 Delegierten des Landesparteitags der Sozialdemokraten votierten 123 für Stöß, 101 Stimmen entfielen auf Müller, ein Delegierter enthielt sich.
»Ich nehme die Wahl an und danke für das Vertrauen«, erklärte Jan Stöß
nach der Verkündung des Ergebnisses. In einem ersten Statement
appellierte der neue Vorsitzende an die SPD, die »Geschlossenheit unter
Beweis zu stellen«. Unterstützer von Stöß reagierten auf seine Wahl mit
Jubelrufen und rhythmischen Klatschen. In vielen Gesichtern des
Landesparteitages stand jedoch auch die Enttäuschung geschrieben, dass
nach acht Jahren die Berliner SPD künftig nicht mehr von Michael Müller
geführt werden wird.
Indes: Dass es knapp werden würde, zeichnete sich bereits in den Wochen
vor der Wahl um den Vorsitzendenposten ab. Sieben von zwölf
Kreisverbänden hatten sich auf Stöß, nur fünf auf Müller festgelegt. Auf
dem Landesparteitag am Sonnabend schien es zwischenzeitlich dennoch so,
als wenn die Stimmung noch zugunsten von Michael Müller, der keinem der
Parteiflügel zugerechnet wird, kippen könnte. Denn der hatte sich in
einer leidenschaftlichen Rede selbstkritisch gezeigt. Die Botschaft sei
angekommen, räumte Müller ein, die Kommunikation müsse besser werden.
Zu wenig Interaktion mit den Parteimitgliedern war Müller auf den
Basisversammlungen auf Kreisebene in den vergangenen Wochen häufig
vorgeworfen worden. Doch Müller verstand es auch, Stöß in seiner Rede
scharf zu attackieren: »Opposition in der Regierung ist politischer
Selbstmord«, sagte Müller in Richtung seines Herausforderers – der hatte
seine Kandidatur in der Hauptsache auch damit begründet, der SPD als
Partei in einer Großen Koalition mit der CDU in Berlin künftig ein
»selbstständigeres Profil« verleihen zu wollen.
Starke Unterstützung unterhielt Müller überdies vom Regierenden
Bürgermeister Klaus Wowereit. Der Senatschef, locker in weißem, offenen
Hemd, warf sich mit Verve für seinen langjährigen Getreuen ein, der ihm
sowohl im Abgeordnetenhaus als auch in der Partei den Rücken
freigehalten hatte. »Wir haben nur ein Profil zu entwickeln«, sagte
Wowereit ebenfalls in Anspielung auf den angekündigten unabhängigen Kurs
von Stöß, »und das ist das gemeinsame.« Und: »Tut nicht so, als wenn
die SPD-Senatoren im feindlichen Lager sind.« Müller selbst bescheinigte
Wowereit dagegen, der habe einen »erfolgreichen Job gemacht«.
Doch auch der Regierende schien bereits zu diesem Zeitpunkt eine
Vorahnung zu haben. Denn trotz des Einsatzes für Müller erklärte
Wowereit zugleich politisch klug, ob Stöß oder Müller, er sei
»flexibel«. Dass sich der Sprecher der Parteilinken, Jan Stöß,
allerdings in eine strategische Partnerschaft mit dem rechten
Parteiflügel begeben habe, kritisierte Wowereit wiederum scharf.
Zu diesem Zeitpunkt, in der Aussprache kurz vor der eigentlichen
Abstimmung, schien eine Wahl von Jan Stöß also keineswegs sicher. Denn
auf die Bewerbungsrede des Kreuzberger SPD-Kreisvorsitzenden hatten die
Delegierten im Vergleich zu Müller eher verhalten reagiert. Nur selten
wurden die Argumente Stöß' mit starkem Applaus quittiert. Seine Vision
»einer erfolgreichen großen linken Volkspartei«, die sichtbar mit einer
eigenen Profilierung in Erscheinung tritt, traf augenscheinlich nicht
überall unter den Versammelten auf Zustimmung.
Dabei brachte Stöß starke Punkte vor, wie das Ziel, wieder linke
Volkspartei zu werden, zu erreichen ist: Beim Thema Wasser, den Mieten
und der S-Bahn müssen die sozialen Initiativen, Verbände und die
Gewerkschaften »Bündnispartner« sein, so Stöß. »Wie wollen wir künftig
die Wahlen in den Städten gewinnen, wenn wir nicht die Partei der Mieter
sind?«, fragte er. Auch bei der Entlohnung bestand Stöß auf
Glaubwürdigkeit. »Wer den flächendeckenden Mindestlohn fordert, der soll
ihn aber auch selber zahlen.« Damit waren die 8,50 Euro gemeint, die
der Senat für die Aufträge zahlt, die an Fremdfirmen vergeben werden.
Möglicherweise war auch der größte inhaltliche Dissens von Müller und
Stöß ausschlaggebend: Denn was die Zukunft der S-Bahn angeht, wollte
Müller eine Teilausschreibung des Verkehrsunternehmens nicht
ausschließen, Stöß dagegen erklärte während seiner Rede, eine Teil- oder
Vollprivatisierung nicht zulassen zu wollen.
Dabei blieb er auch nach der gewonnenen Wahl: »Eine Privatisierung der
S-Bahn wird es mit der der SPD nicht geben«, erklärte Stöß gegenüber
Journalisten. Eine Kampfansage an den Senat freilich will der neue
SPD-Landeschef in solchen Aussagen nicht sehen. Er habe, sagte Stöß,
keine Befürchtungen nicht mit Wowereit zusammenarbeiten zu können. Und:
»Ich habe keine Profilneurose, sondern will nur das umsetzen, was auf
den Parteitagen beschlossen wurde.« Nicht zuletzt dieses Argument dürfte
auch die Mehrheit der Delegierten zur Wahl von Jan Stöß als Landeschef
bewegt haben.
Im Vorfeld des Landesparteitages war in den Medien gar von »Spaltung«
der SPD die Rede. Danach sah es gestern nicht aus. Die Kreisvorsitzenden
verständigten sich darauf, ab sofort zur Gemeinsamkeit zurückzukehren.
In den nächsten Wochen wird sich zeigen, inwiefern das gelingt. Jan Stöß
wird beweisen müssen, ob er wirklich so gut integrieren kann, wie er
behauptet – und ob es ihm gelingt, die tiefen Wunden der Berliner SPD zu
heilen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/229245.stoess-ist-neuer-spd-landeschef.html