Stöß ist neuer SPD-Landeschef

Langjähriger Vorsitzender Müller unterliegt seinem Herausforderer in Kampfabstimmung

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Berliner SPD hat einen neuen Landesvorsitzenden. In einer Kampfabstimmung setzte sich am Sonnabendnachmittag im Hotel Estrel in Berlin-Neukölln der 38-jährige Herausforderer Jan Stöß gegen den bisherigen Vorsitzenden Michael Müller, 47, durch. Von 225 Delegierten des Landesparteitags der Sozialdemokraten votierten 123 für Stöß, 101 Stimmen entfielen auf Müller, ein Delegierter enthielt sich.
»Ich nehme die Wahl an und danke für das Vertrauen«, erklärte Jan Stöß nach der Verkündung des Ergebnisses. In einem ersten Statement appellierte der neue Vorsitzende an die SPD, die »Geschlossenheit unter Beweis zu stellen«. Unterstützer von Stöß reagierten auf seine Wahl mit Jubelrufen und rhythmischen Klatschen. In vielen Gesichtern des Landesparteitages stand jedoch auch die Enttäuschung geschrieben, dass nach acht Jahren die Berliner SPD künftig nicht mehr von Michael Müller geführt werden wird.

Indes: Dass es knapp werden würde, zeichnete sich bereits in den Wochen vor der Wahl um den Vorsitzendenposten ab. Sieben von zwölf Kreisverbänden hatten sich auf Stöß, nur fünf auf Müller festgelegt. Auf dem Landesparteitag am Sonnabend schien es zwischenzeitlich dennoch so, als wenn die Stimmung noch zugunsten von Michael Müller, der keinem der Parteiflügel zugerechnet wird, kippen könnte. Denn der hatte sich in einer leidenschaftlichen Rede selbstkritisch gezeigt. Die Botschaft sei angekommen, räumte Müller ein, die Kommunikation müsse besser werden.

Zu wenig Interaktion mit den Parteimitgliedern war Müller auf den Basisversammlungen auf Kreisebene in den vergangenen Wochen häufig vorgeworfen worden. Doch Müller verstand es auch, Stöß in seiner Rede scharf zu attackieren: »Opposition in der Regierung ist politischer Selbstmord«, sagte Müller in Richtung seines Herausforderers – der hatte seine Kandidatur in der Hauptsache auch damit begründet, der SPD als Partei in einer Großen Koalition mit der CDU in Berlin künftig ein »selbstständigeres Profil« verleihen zu wollen.
Starke Unterstützung unterhielt Müller überdies vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Der Senatschef, locker in weißem, offenen Hemd, warf sich mit Verve für seinen langjährigen Getreuen ein, der ihm sowohl im Abgeordnetenhaus als auch in der Partei den Rücken freigehalten hatte. »Wir haben nur ein Profil zu entwickeln«, sagte Wowereit ebenfalls in Anspielung auf den angekündigten unabhängigen Kurs von Stöß, »und das ist das gemeinsame.« Und: »Tut nicht so, als wenn die SPD-Senatoren im feindlichen Lager sind.« Müller selbst bescheinigte Wowereit dagegen, der habe einen »erfolgreichen Job gemacht«.
Doch auch der Regierende schien bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vorahnung zu haben. Denn trotz des Einsatzes für Müller erklärte Wowereit zugleich politisch klug, ob Stöß oder Müller, er sei »flexibel«. Dass sich der Sprecher der Parteilinken, Jan Stöß, allerdings in eine strategische Partnerschaft mit dem rechten Parteiflügel begeben habe, kritisierte Wowereit wiederum scharf.

Zu diesem Zeitpunkt, in der Aussprache kurz vor der eigentlichen Abstimmung, schien eine Wahl von Jan Stöß also keineswegs sicher. Denn auf die Bewerbungsrede des Kreuzberger SPD-Kreisvorsitzenden hatten die Delegierten im Vergleich zu Müller eher verhalten reagiert. Nur selten wurden die Argumente Stöß' mit starkem Applaus quittiert. Seine Vision »einer erfolgreichen großen linken Volkspartei«, die sichtbar mit einer eigenen Profilierung in Erscheinung tritt, traf augenscheinlich nicht überall unter den Versammelten auf Zustimmung.
Dabei brachte Stöß starke Punkte vor, wie das Ziel, wieder linke Volkspartei zu werden, zu erreichen ist: Beim Thema Wasser, den Mieten und der S-Bahn müssen die sozialen Initiativen, Verbände und die Gewerkschaften »Bündnispartner« sein, so Stöß. »Wie wollen wir künftig die Wahlen in den Städten gewinnen, wenn wir nicht die Partei der Mieter sind?«, fragte er. Auch bei der Entlohnung bestand Stöß auf Glaubwürdigkeit. »Wer den flächendeckenden Mindestlohn fordert, der soll ihn aber auch selber zahlen.« Damit waren die 8,50 Euro gemeint, die der Senat für die Aufträge zahlt, die an Fremdfirmen vergeben werden.
Möglicherweise war auch der größte inhaltliche Dissens von Müller und Stöß ausschlaggebend: Denn was die Zukunft der S-Bahn angeht, wollte Müller eine Teilausschreibung des Verkehrsunternehmens nicht ausschließen, Stöß dagegen erklärte während seiner Rede, eine Teil- oder Vollprivatisierung nicht zulassen zu wollen.
Dabei blieb er auch nach der gewonnenen Wahl: »Eine Privatisierung der S-Bahn wird es mit der der SPD nicht geben«, erklärte Stöß gegenüber Journalisten. Eine Kampfansage an den Senat freilich will der neue SPD-Landeschef in solchen Aussagen nicht sehen. Er habe, sagte Stöß, keine Befürchtungen nicht mit Wowereit zusammenarbeiten zu können. Und: »Ich habe keine Profilneurose, sondern will nur das umsetzen, was auf den Parteitagen beschlossen wurde.« Nicht zuletzt dieses Argument dürfte auch die Mehrheit der Delegierten zur Wahl von Jan Stöß als Landeschef bewegt haben.

Im Vorfeld des Landesparteitages war in den Medien gar von »Spaltung« der SPD die Rede. Danach sah es gestern nicht aus. Die Kreisvorsitzenden verständigten sich darauf, ab sofort zur Gemeinsamkeit zurückzukehren. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, inwiefern das gelingt. Jan Stöß wird beweisen müssen, ob er wirklich so gut integrieren kann, wie er behauptet – und ob es ihm gelingt, die tiefen Wunden der Berliner SPD zu heilen.
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