nd-aktuell.de / 04.04.1991 / Politik / Seite 4

Polen wünscht derzeit keinen NATO-Beitritt

Brüssel (AFP/ADN). Polen wolle der Sowjetunion nicht „den Eindruck vermitteln, eine Bedrohung“ für den Nachbarn zu werden, sagte Präsident Lech Walesa am Mittwoch in Brüssel. Vor Journalisten verneinte der Gast aus Warschau die Frage, ob sein Land der NATO beitreten werde. Zuvor hatte der Politiker in der pohlischen Botschaft eine Unterredung mit NATO-Generalsekretär Wörner geführt.

Walesa betonte, er habe nicht „an die Tür der NATO geklopft“. Er nannte es jedoch „sehr wünschenswert“, daß die westliche Allianz in der Übergangszeit in Europa eine bedeutende Rolle spielt. Die Staaten im Osten des Kontinents seien nach dem Zerfall des Warschauer Vertrages zu Waisenkindern geworden, die vom Westen nicht allein gelassen werden sollten. Polens Präsident setzte damit deutlich vorsichtigere Akzente als CSFR-Staatschef Havel, der kürzlich offen für einen späteren NATO-Beitritt seines Landes plädiert hatte.

Generalsekretär Wörner unterstrich seinerseits, daß die NATO ein „gesamteuropäisches Sicherheitssystem“ anstrebe, das „alle früheren Mitglieder des Warschauer Pakts, auch die Sowjetunion“ umfassen solle. Ein Beitritt einzelner ehemaliger Paktstaaten wie der CSFR oder Ungarns werde abgelehnt.

Im Anschluß an Gespräche in der EG-Kommission warnte Präsident Walesa später davor, den hinweggefegten Eisernen Vorhang durch einen finanziellen Vorhang zu ersetzen, der den reichen Westen vom armen Osten des Kontinents trennt. Ein starker und stabiler Osten, sagte er vor der Presse, liege auch im westlichen Interesse.