nd-aktuell.de / 19.07.1991 / Politik / Seite 14

Einsamer Wolf

Auf dem weiten Feld der russischen Literatur in der UdSSR war ich ein einsamer literarischer Wolf. Man hat mir geraten, mein Fell zu färben. Ein dummer Rat. Ein Wolf, ob gefärbt oder geschoren, wird dennoch nicht wie ein Pudel aussehen. Man ist mit mir umgegangen wie mit einem Wolf. Mehrere Jahre lang hat man mich gejagt nach den Regeln der literarischen Hatz im umzäunten Hof.

Ich hege keinen Groll, aber ich bin sehr müde und bin Ende 1929 zusammengebrochen. Auch ein Tier kann ja ermüden. Das Tier hat erklärt, daß es kein Wolf mehr ist, kein Schriftsteller. Es verzichtet auf seinen Beruf. Es verstummt. Das ist, offen gesagt, Kleinmut.

Es gibt keinen Schriftsteller, der verstummt. Wenn er verstummt, war er kein wirklicher Schriftsteller.

Wenn ein wirklicher Schriftsteller verstummt ist, muß er sterben.

Der Grund für meine Krankheit - das langjährige Gehetztwerden und das darauffolgende Schweigen...

In den Jahren meiner Arbeit als Schriftsteller haben Parteilose wie Parteimitglieder mir eingeredet, daß ich von dem Moment an, als ich die erste Zeile schrieb und veröffentlichte, bis zum Ende meines Lebens niemals andere Länder sehen wurde.

Wenn das stimmt, ist mir der Horizont versperrt, ist mir die höchste Schule des Schriftstellers genommen, und ich habe nicht die Möglichkeit, gewaltige Fragen für mich zu entscheiden. Mir ist die Psychologie des Häftlings aufgezwungen.

Wie soll ich mein Land besingen, die UdSSR?