nd-aktuell.de / 23.12.1991 / Politik / Seite 2

Leserbriefe

Gregor Gysi hat in seinem Referat auf der 3. Tagung des 2. Parteitages gesagt, daß die SPD mit Reformen nur die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse verbessern wolle, während die PDS nicht nur gegen die Regierungspolitik, sondern überhaupt die kapitalistischen Verhältnisse opponiere. Bei dieser Positionsbeschreibung mußte ich an eine Diskussion zwischen Vertretern der SED und der Grundwertekommission der SPD im baden-württembergischen ' Freudenstadt denken. Das war im April 1988. Dabei äußerten SPD-Politiker und -theoretiker wie Dr. Eppler, Dr. Meyer, Prof. Strasser Vorstellungen für einen Wandel der heutigen kapitalistischen Gesellschaft: Es müßten autonome Entscheidungszentren geschaffen werden, als Gegengewicht zu bzw. Ersatz für staatliche und wirtschaftliche Strukturen mit einseitiger Interessenlage. Das Ergebnis solle eine autonom strukturierte Gesellschaft sein. In ihr könnten die autonomen Einheiten über die jeweils besten Lösungen für die Gesellschaft diskutieren und entscheiden. Auf diesem Wege würde sieh auch die Machtfrage verändern. Zumindest die SPD-Linken gehen also weiter als Gysi meint und wollen durchaus grundlegende Veränderungen. In dieser Beziehung gibt es keinen wesentlichen Unterschied zur PDS. Gysis empfohlene Strategie „demokratische Gegenmächte gegen Kapital, Markt und

entwickeln“, ist auf SPD-Seite schon längst vorgedacht worden. Die Wahrheit gebietet, das festzustellen. Das Problem ist freilich, daß bisher reformerische demokratische Gegenkräfte auf die Dauer dem Kapital unterlagen.

Hans-Joachim Raabe, Berlin. 1020